Am 15. November 2023 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den zweiten Nachtragshaushalt des Jahres 2021 für verfassungswidrig erklärt. Als Begründung wurde unter anderem ein Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse (Art. 109 und Art. 115) angeführt. Folglich müssen der reguläre Haushalt sowie Teile der Sondervermögen für die Jahre 2023 und 2024 erheblich umgeplant werden. Das 45. Ökonomenpanel von ifo und FAZ widmet sich den Folgen des Urteils und legt dabei einen Fokus auf die Schuldenbremse, die nach dem Urteil im Zentrum der Diskussionen stand. Die Umfrage, an der 187 VWL-Professorinnen und Professoren teilnahmen, fand vom 28. November bis zum 05. Dezember 2023 statt.
Die Schuldenbremse ist in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes verankert. Sie sieht eine strukturelle und eine konjunkturelle Komponente vor. Die strukturelle Komponente beschränkt die Möglichkeit der Bundesregierung zur Neuverschuldung auf jährlich 0,35% des nominellen Bruttoinlandsprodukts. Die konjunkturelle Komponente erlaubt die Aufnahme zusätzlicher Schulden während eines konjunkturellen Abschwungs, die im Falle einer Besserung der konjunkturellen Lage wieder zurückzuführen sind. Zudem gibt es eine Ausnahmeregel („escape clause“), die es dem Bundestag mit einfacher Mehrheit erlaubt, die Schuldenbremse im Falle von Naturkatastrophe oder anderen außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, auszusetzen. Aufgrund dieser Regelung wurde die Schuldenbremse in den Jahren 2020 bis 2022 ausgesetzt. Nach dem Plan der Bundesregierung soll sie auch im Jahr 2023 ausgesetzt werden. Während für das Feststellen der Notlage lediglich eine einfache Mehrheit des Bundestages notwendig ist, muss jede Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse von einer verfassungsändernden 2/3-Mehrheit im Bundestag beschlossen werden.
Schuldenbremse spaltet Profession in zwei gleich große Lager
Rund die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer spricht sich dafür aus, die Schuldenbremse zu reformieren oder abzuschaffen: 44% wollen sie erhalten, aber reformieren, 6% wollen sie gänzlich abschaffen. Sie argumentieren vorwiegend, dass nur so der hohe Investitionsbedarf bei der Infrastruktur und die ökologische Transformation in Deutschland umgesetzt werden kann. An der gegenwärtigen Ausgestaltung der Schuldenbremse wird kritisiert, dass diese nicht zwischen investiven und konsumtiven Ausgaben unterscheide und durch die Jährlichkeit den Handlungsspielraum bei Krisen einschränke. Vereinzelt wird auch angeführt, dass die Schuldenbremse nicht wirksam sei, was die schuldenfinanzierten Sondervermögen beispielhaft illustrierten. Mit 48% wollen aber fast genauso viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form erhalten. Sie zeigen sich überzeugt, dass die Schuldenbremse notwendig sei, um der Politik Anreize für Haushaltsdisziplin zu setzen, eine Ausweitung von staatlichen Konsumausgaben zu verhindern und die Tragfähigkeit der Schulden sicherzustellen. Sie attestieren der Schuldenbremse ausreichend Raum für flexible Reaktionen auf die konjunkturelle Entwicklung. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts argumentieren sie, dass die Schuldenbremse wirksam sei, und fürchten, dass mit jeder Reform die haushälterischen Tricksereien zunehmen würden. Etwa 2% antworten „Weiß nicht“.
Der Vergleich mit vorherigen Ökonomenpanels zeigt, wie sich die Zustimmung zur Schuldenbremse über die Zeit verändert hat. Schon im Herbst 2019, als im Zuge des historische Niedrigzinsumfelds intensiv über das Für und Wider zusätzlicher Schulden debattiert wurde, war die Profession gespalten. Damals gaben 57% der Ökonominnen und Ökonomen an, dass sie grundsätzlich für die Beibehaltung der Schuldenbremse seien, 15% waren unentschlossen und 28% sprachen sich grundsätzlich gegen die Schuldenbremse aus (Blum et al., 2019). Bemerkenswert ist, dass sich zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode 64% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer dagegen aussprachen, die Schuldenbremse durch Extrahaushalte zu umgehen (Gründler et al., 2021).
Von jener Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die eine Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse fordern, gibt es die meiste Unterstützung für eine Ausnahmeregel für Investitionen. Dabei sprechen sich 44% für Ausnahmen für Netto-Investitionen und 18% für Ausnahmen für Brutto-Investitionen aus. Zudem wollen 36% die Konjunkturkomponente großzügiger ausgestalten. In einer Krise wäre dann eine höhere Verschuldung zulässig, die aber im Aufschwung ausgeglichen werden muss. Von den Unterstützerinnen und Unterstützern einer Reform der Schuldenbremse befürworten 30% den Vorschlag, bestimmte Ausgabenkategorien wie Klima und Verteidigung von der Schuldenbremse auszunehmen. Etwa 18% unterstützen eine Erhöhung der strukturellen Nettokreditaufnahme in normalen Zeiten auf mehr als 0,35% der Wirtschaftsleistung. Nur 12% wollen die Schuldenbremse abschaffen. Zudem antworten 15% mit „Andere“. Sie nennen zum Beispiel eine restriktivere Gestaltung der Schuldenbremse, eine Aufweichung der Jährlichkeit oder eine Rückkehr zur alten Regelung für die Schuldenbremse. Etwa 2% antworten „Weiß nicht“. Mehrfachnennungen waren möglich.
Kurzfristig negative Folgen aufgrund des Urteils zur Schuldenbremse erwartet
Die Ökonominnen und Ökonomen erwarten mehrheitlich, dass sich die Staatsschuldenquote sowohl kurz- als auch mittelfristig in Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts verbessern wird. Jedoch gehen die VWL-Professorinnen und VWL-Professoren davon aus, dass das Urteil in den nächsten ein bis zwei Jahren zu einer Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Situation beiträgt. Eine Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung wird von 52% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet. Mit Blick auf den Wandel der Wirtschaft hin zu modernen Technologien und Branchen sind es 46%, beim Klimaschutz sind es ebenso 46% und bei der politischen Stabilität sogar 59% der Ökonominnen und Ökonomen, die negative Folgen aufgrund des Urteils erwarten. Auf die mittlere Frist – also die nächsten fünf bis zehn Jahren – hellt sich die Einschätzung zumindest leicht auf. Mit Blick auf die mittelfristige allgemeine wirtschaftliche Entwicklung erwarten nur 24% eine Verschlechterung durch das Urteil, 28% erwarten sogar eine Verbesserung und die meisten erwarten keinen Einfluss (42%). Ähnlich verhält es sich für den Wandel der Wirtschaft zu modernen Technologien und Branchen sowie den Klimaschutz und die politische Stabilität. Dort erwartet jeweils ein Drittel auch noch in fünf bis zehn Jahren eine Verschlechterung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mehr als 40% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehen aber keinen Einfluss d auf diese Bereiche durch das Urteil.
Mehrheit für Aussetzen der Schuldenbremse im Jahr 2023
Eine große Mehrheit von 66% der VWL-Professorinnen und VWL-Professoren unterstützt den Plan der Bundesregierung, für das Jahr 2023 erneut eine außergewöhnliche Notlage zu beschließen und die Schuldenbremse auszusetzen. Sie argumentieren, dass dies der einzige Weg sei, um das Jahr kurzfristig mit einem verfassungsmäßigen Haushalt abzuschließen. Im Nachhinein könne man nicht mehr sparen. Alle Alternativen würden Unternehmen und Haushalte erheblich verunsichern und Klimaziele gefährden. Sie sehen mit Blick auf die Energiepreiskrise am Anfang des Jahres die notwendigen inhaltlichen Voraussetzungen für die Notlage. Demgegenüber lehnen 28% der Ökonominnen und Ökonomen die Aussetzung der Schuldenbremse für das Jahr 2023 ab. Sie sehen die objektiven Voraussetzungen des Grundgesetzes an eine Notlage und damit die rechtliche Grundlage für diesen Schritt nicht gegeben. Etwa 6% antworten „Weiß nicht“.
Wie soll die Lücke im Haushalt ab 2024 geschlossen werden?
Die Kernfrage, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt, ist: Wie soll die durch den Urteilsspruch entstandene Lücke in der Haushaltsplanung der Bundesregierung ausgeglichen werden? Für das Jahr 2024 fordern die Ökonominnen und Ökonomen größere Anstrengungen der Bundesregierung. Etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer spricht sich dafür aus, dass die Haushaltslücke primär durch Einsparungen geschlossen wird. Sie verweisen darauf, dass der Staatshaushalt insgesamt ausreichend groß sei und Kürzungspotentiale, insbesondere bei Sozialausgaben und Subventionen enthalte. Das Schließen der Lücke über Steuern oder Schulden halten sie langfristig für wirtschaftsschädlich. Demgegenüber steht ein großes Lager von VWL-Professorinnen und VWL-Professoren, die auch im Jahr 2024 einen Anstieg der Neuverschuldung als primäre Lösung sehen. Sie favorisieren dabei aber unterschiedliche Wege: Rund 15% fordern eine Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse, um so Freiraum für Investitionen zu schaffen, weitere 18% wollen Sondervermögen zu Klima und Infrastruktur in Grundgesetz verankern, weil so Planungssicherheit geschaffen werde und die Mittel zweckgebunden seien. 5% sprechen sich für ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse aus, weil sie das in der Umsetzung für den realistischsten Weg halten. Eine kleine Gruppe von 5% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fordert primär Steuerhöhungen, um die Haushaltslücke im Jahr 2024 zu schließen. Zudem antworten 7% mit „Andere“. Sie unterstützen vielfach eine Mischung aus Einsparungen und höheren Steuereinnahmen. Etwa 6% antworten mit „Weiß nicht“.
Potenziale zur Einsparung werden bei Subventionen und Sozialem gesehen
In der haushaltpolitischen Debatte kommt regelmäßig die Frage nach Einsparpotenzialen im Bundeshaushalt auf. Wo sehen die Ökonominnen und Ökonomen hier den größten Spielraum? Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten auf die Frage nach Potenzialen zur Einsparung im Freitext antworten. Insgesamt haben sich 126 Ökonominnen und Ökonomen an der Diskussion um Einsparungspotenziale beteiligt. Mit 63% werden Subventionen am häufigsten als Quelle von Einsparungen angegeben. Spezifisch werden primär die Förderung von Unternehmensansiedlungen sowie klimaschädliche Subventionen genannt. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Freitextantworten gibt zudem den Sozialbereich als Möglichkeit für Einsparungen an. Namentlich werden am häufigsten das Bürgergeld (und dessen geplante Erhöhung) sowie die Kindergrundsicherung genannt. Im Bereich von Klimamaßnahmen sehen 25% Einsparpotenziale und verknüpfen diese häufig mit der Forderung nach einer höheren Besteuerung von CO₂ als Lenkungsinstrument. Einsparpotenziale werden zudem bei der Rente (20%), Verwaltung (11%), Asyl (9%) und Entwicklungshilfe (5%) gesehen. Etwa 2% gaben explizit an, dass sie keine Einsparungen unterstützen. Mehrfachantworten waren möglich.
Steuererhöhungen werden vor allem im Bereich der Emissionen gefordert
Insgesamt haben 101 Ökonominnen und Ökonomen im Freitext Bereiche für Erhöhungen der Steuern und Abgaben genannt. Davon gaben 19% explizit an, dass sie Steuererhöhungen ablehnen. Demgegenüber fordern 37% höhere Steuern auf CO₂ und andere Emissionen. Zudem geben 30% an, dass Erbschaft- und Schenkungssteuer erhöht werden sollten. Auch fordern 21% eine höhere Einkommenssteuer. Diese solle aber nur die Personen im Bereich des Spitzen- oder Reichensteuersatzes betreffen. Zudem wollen 17% die Steuereinnahmen durch den Verzicht auf Steuervergünstigen anheben. Dabei wird primär das Dienstwagenprivileg genannt. Ähnlich verhält es sich mit jenen 15%, die sich für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aussprechen. Sie wollen lediglich die Ausnahmeregelungen mit Blick auf die Mehrwertsteuer abschaffen. Zudem fordern 11% höhere Steuern auf Vermögen und 6% höhere Steuern auf Kapitalerträge. Mehrfachnennungen waren möglich.