Die aktuellen Krisen haben zu einer Debatte über die Zukunft des Geschäftsmodells Deutschland und der deutschen Industrie geführt. Steigende Energiepreise, ein gestörter Außenhandel und das US-Subventionsprogramm IRA werfen die Frage auf, was zu tun ist, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit als Standort für Unternehmen und hochproduktive Arbeitsplätze zu erhalten.
Ein wichtiger Standortfaktor sind dabei die Steuern auf Unternehmensgewinne. Steuersenkungen verursachen zwar in der Regel kurzfristige Einnahmeausfälle für den Staat. Doch können sie die Rahmenbedingungen für Investitionen so verbessern, dass über eine stärkere und produktivere wirtschaftliche Aktivität später auch die Steuereinnahmen wachsen.
Reform der Unternehmensteuer wurde versäumt
Leider hat sich die deutsche Steuerpolitik dafür jahrelang nicht interessiert – die letzte größere Reform gab es 2008. Damals senkte die Bundesregierung den Steuersatz auf einbehaltene Unternehmensgewinne von 38 auf 30 %. Das verbesserte die Position des Landes im internationalen Steuerwettbewerb erheblich. Unter den G-7-Staaten wies direkt danach nur das Vereinigte Königreich einen niedrigeren Steuersatz auf. Seitdem haben allerdings auch die anderen Länder ihre Unternehmensteuern gesenkt, während Deutschland passiv blieb. Das Ergebnis: 2022 war unser Steuersatz der höchste unter den G-7-Staaten.
Die deutsche Passivität zeigt sich aber nicht nur in der ausbleibenden Reaktion auf den globalen Steuerwettbewerb. Auch bei der Struktur des Steuersystems ignoriert die Politik beharrlich den Reformbedarf. Besonders frappierend ist das bei der Gewerbesteuer. Deutschland leistet sich derzeit drei Steuern auf Unternehmensgewinne: die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften, die Einkommensteuer für Personengesellschaften und die von den Kommunen erhobene Gewerbesteuer. Letztere macht rund die Hälfte der Belastung von Unternehmensgewinnen aus.
Baustelle Gewerbesteuer
Die Gewerbesteuer hat massive Schwächen. Sie ist als Kommunalsteuer ungeeignet, weil ihr Aufkommen konjunkturabhängig ist und stark schwankt. In Wirtschaftskrisen brechen die Einnahmen der Städte und Gemeinden regelmäßig ein – was meistens dazu führt, dass die Kommunen ihre Investitionen senken. Das ist auch gesamtwirtschaftlich schädlich.
Hinzu kommt, dass die Einnahmen höchst ungleich verteilt sind. 2019 hatte Wolfsburg pro Einwohner ein Gewerbesteueraufkommen von 1 231 Euro, in Gelsenkirchen waren es nur 273 Euro, in vielen ländlichen Kommunen noch weniger. Außerdem verkompliziert die Gewerbesteuer das Steuersystem unnötig. Bei Personengesellschaften wird die Gewerbesteuer zunächst mit großem Aufwand erhoben und dann pauschaliert zurückerstattet. Bei Initiativen zur Koordinierung der Unternehmensteuern in Europa, etwa durch gemeinsame Bemessungsgrundlagen, ist die Gewerbesteuer ein Hindernis.
Die Steuer zu ersetzen, ist zwar politisch schwierig, weil dies mit einer Reform der Kommunalfinanzen einhergehen muss. Doch dazu gibt es überzeugende Konzepte. So ließe sich die Gewerbesteuer etwa durch einen Zuschlag zur Körperschaftsteuer und eine Beteiligung am lokalen Lohnsteueraufkommen ersetzen.
Transformation der Wirtschaft braucht modernes Steuerrecht
Handlungsbedarf bei den Unternehmensteuern besteht nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ökonomischen Transformation. Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel stellen die Wirtschaft vor große Herausforderungen. Viele Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell verändern, erheblich investieren und Risiken eingehen.
Das geltende Steuerrecht bietet dafür nicht den richtigen Rahmen. Riskante Investitionen erfordern einen verlässlichen steuerlichen Verlustausgleich. In Deutschland aber ist dieser stark eingeschränkt, was riskante Investitionen und Unternehmensgründungen diskriminiert. Forschung und Entwicklung fördert der Staat oft durch komplizierte Programme mit hohem Antragsaufwand. Vor allem für viele Mittelständler ist dieser Aufwand zu hoch. Es wäre sinnvoll, diese Mittel umzuleiten und die weniger bürokratische steuerliche Forschungsförderung auszubauen.
Bisherige Pläne greifen zu kurz
Immerhin: Die Ampel-Koalition will die Abschreibungsregeln verbessern. Das soll laut Koalitionsvertrag aber auf Investitionen für Klimaschutz und digitale Güter beschränkt bleiben. Die Politik sollte diese Einschränkung überdenken und Investitionen breiter fördern – falls fiskalisch erforderlich, dann eben weniger intensiv.
Beschleunigte Abschreibungen bedeuten, dass Steuereinnahmen nicht ausfallen, sondern in die Zukunft wandern. Der Staat beteiligt sich quasi als stiller Teilhaber an den Unternehmen. Die zunehmend restriktive Kreditvergabe der Banken macht die Finanzierungseffekte beschleunigter Abschreibungen umso wichtiger.
Dass nun im Bundesfinanzministerium über ein „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ mit zusätzlichen Maßnahmen nachgedacht wird, ist vor diesem Hintergrund eine gute Nachricht. Denn wie man es auch betrachtet: Es gibt keine Entschuldigung mehr, grundlegende Reformen der Unternehmensbesteuerung auf die lange Bank zu schieben.
Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, Präsident des ifo Instituts
(ifo Standpunkt 245, Stellungnahme v. 24. März 2023)
Erschienen unter dem Titel „Warum die Ampel eine große Steuerreform nicht vertrödeln darf“ WirtschaftsWoche, 10. März 2023