Wissenschaftliche Dienste Nr.12/22 (11. August 2022) / Deutscher Bundestag
Die Rolle von grünem Wasserstoff für die Transformation der Energiewirtschaft wurde in der Vergangenheit noch kontrovers als „Champagner der Energiewende“ oder „Öl von morgen“ diskutiert.
Nicht erst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine fokussieren sich nationale und europäische Bestrebungen auf einen möglichst raschen Aufbau der Wasserstoffwirtschaft („Markthochlauf“).
Leitlinien bilden die „Nationale Wasserstoffstrategie“(2020) und die „Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa“(2020). Begleitet wird die Umsetzung seit Mitte 2020 durch den „Nationalen Wasserstoffrat“ und auf EU-Ebene durch die „European Clean Hydrogen Alliance“.
Wasserstoff gilt insofern als klimaneutraler Energieträger, da bei seiner Verbrennung kein Kohlenstoffdioxid entsteht. Wasserstoff kommt in der Natur nur in Form chemischer Verbindungen vor. Seine Herstellung setzt allerdings den Einsatz von Energie voraus. Je nach Art der eingesetzten Energie unterscheidet die „Farbenlehre“ des Wasserstoffs unter anderem zwischen grauem, blauem und grünem Wasserstoff: Grauer Wasserstoff wird meist aus fossilem Erdgas mittels Dampfreformierung hergestellt. Wird das hierbei entstehende CO2 zumindest teilweise abgeschieden und unterirdisch gespeichert, wird der Wasserstoff als blau bezeichnet. Die Wasserstoffstrategien Deutschlands und der EU fördern die Herstellung grünen Wasserstoffs. Bei seiner Herstellung sind ausschließlich erneuerbare Energien einzusetzen; Zertifizierung, weitergehende Anforderungen und damit ein einheitliches Begriffsverständnis sind offen. Für die Herstellung von grünem Wasserstoff ist insbesondere die Elektrolyse von Bedeutung, also der Einsatz von Strom zur Zerlegung von Wasser in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff.
Wasserstoff ist Energieträger und eignet sich auch zur Energiespeicherung. In der Energiewende werden Energiespeicher verstärkt benötigt, um Angebot und Nachfrage von volatil erzeugtem Strom besser in Einklang zu bringen. Während mit Batteriespeichern kurzfristige Fluktuationen zwischen Überschuss und Defizit ausgeglichen werden können, könnte Wasserstoff als mittel- und langfristige Speicheroption dienen und damit zur Flexibilisierung des Energieversorgungssystems beitragen. Die Umwandlung erneuerbarer Energien in Wasserstoff und dessen Derivate wie Methan wird als Power-to-Gas (Aktueller Begriff 10/12) bezeichnet. Im Bedarfsfall ist auch eine Rückverstromung aus Wasserstoff möglich, also die Erzeugung von Strom aus Wasserstoff.
Um Wasserstoff in der Energiewirtschaft zu nutzen, müsste neben den Produktions- oder Importkapazitäten die notwendige Wasserstoffinfrastruktur bereit stehen. Ein gängiger Vorschlag ist die Nutzung der bestehenden deutschen Gasinfrastruktur etwa durch Umwandlung von Wasserstoff in synthetisches Erdgas. Stattdessen könnte Wasserstoff zu einem bestimmten Prozentsatz auch dem Erdgas in den Leitungen beigemischt werden. Erforscht wird derzeit, inwieweit das Erdgasnetz auch als Energiespeicher dienen könnte.
Angesichts diverser denkbarer Einsatzbereiche sind Prognosen zum zukünftigen Wasserstoffbedarf schwierig (Ausarbeitung, WD 5 – 3000 – 024/22). Eine „Metastudie Wasserstoff“ im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrats kam 2021 für Deutschland zu dem Ergebnis, dass bis 2030 mit einer moderaten Bedarfssteigerung an Wasserstoff- und Wasserstoffsyntheseprodukten zu rechnen sei (bis zu 80 TWh). Für 2050 rechnet die Metastudie mit einer Bedarfsspanne von ca. 400 – 800 TWh.
Dabei berücksichtigen Bedarfsprognosen, die sich in einer weiten Spanne bewegen, noch nicht Auswirkungen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine. Die EU, Deutschland und die weiteren Mitgliedstaaten intensivieren ihre Bemühungen, das europäische Energiesystem unabhängiger von russischen Importen zu machen. Ziel ist neben dem Klimaschutzgedanken die Sicherung der Energieversorgung – auch mittels Wasserstoff. Zahlreiche Förderprogramme sollen den Markthochlauf unterstützen, etwa das mit 900 Mio. EUR ausgestattete deutsche Förderpaket H2Global, das die Europäische Kommission im Dezember 2021 genehmigte.
Unklare Bedarfsprognosen und ein fehlender kohärenter Rechtsrahmen für Erzeugung, einschließlich Zertifizierung, Transport und Nutzung von Wasserstoff erschweren den Markthochlauf. Mit einer Gesetzesnovelle hat der deutsche Gesetzgeber im Juli 2021 begonnen, Wasserstoffnetze zu regulieren (§§ 28d ff. Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) sowie eine Berichtspflicht zum weiteren Wasserstoffnetzaufbau eingeführt (§ 112 Abs. 1 EnWG). Geregelt werden auch Anforderungen an die Herstellung von grünem Wasserstoff (§§ 12h ff. Erneuerbare-Energien-Verordnung – EEV). Vor der parlamentarischen Sommerpause 2022 hat der Bundestag das Sofortmaßnahmengesetz beschlossen und den Rechtsrahmen für grünen Wasserstoff erneut nachgebessert (etwa § 26 Energie-Umlagen-Gesetz – EnUG, ab 1.1.2023). Entscheidend wird aber letztlich eine europaweit einheitliche Definition von grünem Wasserstoff sein.
Denn auch die Europäische Kommission hat legislativen Nachholbedarf erkannt und den Mitgliedstaaten im Mai 2022 Maßnahmen zur Ausgestaltung der Wasserstoffproduktion vorgeschlagen. Der „REPowerEU-Plan“ forciert neben dem verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien den beschleunigten Hochlauf des Wasserstoffmarktes. Insbesondere will die Kommission den Rechtsrahmen für grünen Wasserstoff durch delegierte Rechtsakte zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) ergänzen. Ein vorgelegter Entwurf bezieht sich auf erneuerbare Kraftstoffe nicht-biologischen Ursprungs im Verkehrssektor und nennt nähere Anforderungen für grünen Wasserstoff.
Einheitliche Anforderungen für grünen Wasserstoff werden von der Praxis grundsätzlich begrüßt. Im Konsultationsverfahren zum EU-Entwurf haben Interessenvertreter aber auch Kritik geäußert. Denn nach dem Kommissions-Entwurf muss erneuerbarer Strom für die Produktion von grünem Wasserstoff zusätzlich zu bereits vorhandenen Kapazitäten hergestellt und innerhalb eines bestimmten Zeitraums durch den Elektrolyseur verbraucht werden. Hintergrund ist, dass erneuerbare Energien nicht für die Wasserstoffproduktion verbraucht werden sollen, wenn dies zu einem Mangel in anderen Einsatzbereichen führen könnte. Kritiker befürchten, dass zu strenge Kriterien Investitionen hemmen und den Markthochlauf grünen Wasserstoffs behindern statt fördern könnten. Die vorgeschlagenen Anforderungen könnten als Blaupause für andere Bereiche genutzt werden und daher über den Verkehrsbereich hinaus große Bedeutung erlangen.
Quellen:
– https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/wasserstoff.html.