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Steuerrecht
12.01.2023
Steuerrecht
EuGH: Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital – Stempelsteuer auf die Dienstleistungen der Vermarktung von Anteilen an offenen Anlagefonds für die gemeinsame Anlage in Wertpapieren

EuGH, Urteil vom 22.12.2022 – C‑656/21; IM Gestão de Ativos (IMGA) – Sociedade Gestora de Organismos de Investimento Coletivo SA u.a. gegen Autoridade Tributária e Aduaneira

ECLI:EU:C:2022:1024

Volltext BB-Online BBL2023-84-3

Tenor

Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital ist dahin auszulegen: dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Erhebung einer Stempelsteuer zum einen auf die Vergütung, die ein Finanzinstitut von einer Gesellschaft, die Anlagefonds verwaltet, für die Erbringung von Vermarktungsdienstleistungen zum Zweck neuer Kapitalzuführungen durch Zeichnung neu ausgegebener Fondsanteile erhält, sowie zum anderen auf die Beträge vorsieht, die diese Verwaltungsgesellschaft bei Anlagefonds erhebt, soweit diese Beträge die Vergütung beinhalten, die diese Verwaltungsgesellschaft an die Finanzinstitute für diese Vermarktungsdienstleistungen gezahlt hat.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. 2008, L 46, S. 11).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der IM Gestão de Ativos (IMGA) – Sociedade Gestora de Organismos de Investimento Coletivo SA und 31 von ihr verwalteten Anlagefonds, und zwar IMGA Rendimento Semestral, IMGA Ações Portugal Cat A, IMGA Ações América Cat A, IMGA Mercados Emergentes, IMGA Eurofinanceiras, IMGA Eurocarteira, IMGA Rendimento Mais, IMGA Investimento PPR, IMGA Alocação Moderada Cat A, IMGA Alocação Dinâmica Cat A, IMGA Global Equities Selection Cat A, IMGA Liquidez Cat A, MGA Money Market Cat A, IMGA Euro Taxa Variavel Cat A, IMGA Dívida Pública Europeia, IMGA Retorno Global Cat A, IMGA Poupança PPR, IMGA Alocação Conservadora Cat A, IMGA Ibéria Equities ESG Cat A, IMGA Ibéria Fixed Income ESG Cat A, IMGA Alternativo, CA Curto Prazo, IMGA Ações Europa, IMGA Flexível Cat A, CA Monetário, CA Rendimento, Eurobic PPR/OICVM Ciclo Vida 35-44, Eurobic PPR/OICVM Ciclo Vida 45-54, Eurobic PPR/OICVM Ciclo Vida + 55, Eurobic Seleção Top und IMGA European Equities Cat A auf der einen Seite und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) auf der anderen Seite über die Erhebung einer Stempelsteuer auf die Vermarktung dieser Anlagefonds.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          In den Erwägungsgründen 1 bis 3 und 9 der Richtlinie 2008/7 heißt es:

„(1)       Die Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital [(ABl. 1969, L 249, S. 25)] ist mehrmals erheblich geändert worden. Da weitere Änderungen vorgenommen werden müssen, ist sie in dem Bemühen um Klarheit neu zu fassen.

(2)        Die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, d. h. die Gesellschaftssteuer (Steuer auf die Einbringungen in Gesellschaften), die Wertpapiersteuer und die Steuer auf Umstrukturierungen, unabhängig davon, ob diese eine Kapitalerhöhung mit sich bringen, sind Ursache von Diskriminierungen, Doppelbesteuerungen und Unterschiedlichkeiten, die den freien Kapitalverkehr behindern. Dasselbe gilt für andere indirekte Steuern mit denselben Merkmalen wie die Kapitalsteuer und die Wertpapiersteuer.

(3)        Deshalb ist es im Interesse des Binnenmarkts, die Rechtsvorschriften über indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital zu harmonisieren, um so weit wie möglich die Faktoren auszuschalten, die die Wettbewerbsbedingungen verfälschen oder den freien Kapitalverkehr behindern können. …

(9)        Außer der Gesellschaftssteuer sollten keine indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital erhoben werden. Insbesondere sollte keine Wertpapiersteuer erhoben werden, ohne Rücksicht auf die Herkunft der Wertpapiere und ohne Rücksicht darauf, ob sie Eigenkapital der Gesellschaften oder Anleihekapital verkörpern.“

4          Art. 1 der Richtlinie 2008/7 sieht vor:

„Diese Richtlinie regelt die Erhebung indirekter Steuern auf

a)         Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften;

b)         Umstrukturierungen von Kapitalgesellschaften;

c)         die Ausgabe bestimmter Wertpapiere und Obligationen.“

5          Art. 2 („Kapitalgesellschaft“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)       Kapitalgesellschaften im Sinne dieser Richtlinie sind

a)         jede Gesellschaft, die eine der im Anhang aufgeführten Formen aufweist;

b)         jede Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person, deren Kapital- oder Vermögensanteile in einem der Mitgliedstaaten börsenfähig sind;

c)         jede Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck, deren Mitglieder berechtigt sind, ihre Anteile ohne vorherige Genehmigung an Dritte zu veräußern, und deren Mitglieder für Schulden der Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person nur bis zur Höhe ihrer Beteiligung haften.

(2)        Für die Zwecke dieser Richtlinie werden den Kapitalgesellschaften alle anderen Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen gleichgestellt, die einen Erwerbszweck verfolgen.“

6          In Art. 5 („Keinen indirekten Steuern unterliegende Vorgänge“) Abs. 2 dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten erheben keine indirekte Steuer irgendwelcher Art

a)         auf die Ausfertigung, die Ausgabe, die Börsenzulassung, das Inverkehrbringen von oder den Handel mit Aktien, Anteilen oder anderen Wertpapieren gleicher Art sowie Zertifikaten derartiger Wertpapiere, ungeachtet der Person des Emittenten;

b)         auf Anleihen einschließlich Renten, die durch Ausgabe von Obligationen oder anderen handelsfähigen Wertpapieren aufgenommen werden, ungeachtet der Person des Emittenten, auf alle damit zusammenhängenden Formalitäten sowie auf die Ausfertigung, Ausgabe oder Börsenzulassung, das Inverkehrbringen von oder den Handel mit diesen Obligationen oder anderen handelsfähigen Wertpapieren.“

7          Gemäß Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. 2009, L 302, S. 32) können Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), für die diese Richtlinie gilt, die Vertragsform (von einer Verwaltungsgesellschaft verwaltete Investmentfonds), die Form des Trusts („unit trust“) oder die Satzungsform (Investmentgesellschaft) haben.

8          Art. 87 Satz 1 dieser Richtlinie lautet:

„Es werden keine Anteile eines OGAW ausgegeben, wenn nicht der Gegenwert des Nettoausgabepreises innerhalb der üblichen Fristen dem Vermögen des OGAW zufließt.“

Portugiesisches Recht

9          Art. 1 Abs. 1 des Código do Imposto do Selo (Stempelsteuergesetz) sieht vor:

„Die Stempelsteuer wird auf alle in der Tabela Geral do Imposto do Selo [(Allgemeine Stempelsteuertabelle)] vorgesehenen Handlungen, Verträge, Dokumente, Titel, Schriftstücke und sonstigen Tatsachen oder rechtlichen Situationen erhoben, einschließlich der unentgeltlichen Übertragung von Vermögenswerten.“

10        Die Allgemeine Stempelsteuertabelle (im Folgenden: TGIS) enthält eine Nr. 17 („Finanzielle Transaktionen“), die wie folgt lautet:

„Finanzielle Transaktionen …

17.3.     Transaktionen, die von oder unter Vermittlung von Kreditinstituten, Finanzunternehmen oder anderen diesen rechtlich gleichgestellten Unternehmen sowie anderen Finanzinstituten getätigt werden – auf den in Rechnung gestellten Betrag: …

17.3.4. Sonstige Provisionen und Entgelte für Finanzdienstleistungen, einschließlich Gebühren für kartengebundene Zahlungsvorgänge – [Höhe der Stempelsteuer:] 4 %.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11        IMGA ist eine Gesellschaft, die offene Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (im Folgenden: Anlagefonds) verwaltet. Sie verwaltet und vertritt die 31 in Rn. 2 des vorliegenden Urteils genannten Anlagefonds.

12        Um die Anteile der in Rede stehenden Anlagefonds publik zu machen und zu vertreiben, wendet sich IMGA an Finanzinstitute, hauptsächlich Geschäftsbanken, die über ein landesweites Netz von Zweigstellen und Erfahrung in der Finanzvermittlung und der öffentlichen Platzierung von Wertpapieren verfügen.

13        Im Zeitraum von Januar bis Dezember 2019 vermarkteten vier Banken von den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anlagefonds ausgegebene Anteile in der Öffentlichkeit. Für die Vermarktungsdienstleistungen, die die Neuzuführungen von angesammeltem Kapital ermöglichten, erhielten diese Banken Provisionen, die sie IMGA als Verwalterin der Anlagefonds in Rechnung stellten. Die Banken berechneten auf den ausgestellten Rechnungen auch die bei IMGA erhobene Stempelsteuer gemäß Nr. 17.3.4 TGIS.

14        Im Jahr 2019 stellte IMGA den Fonds Verwaltungsgebühren in Rechnung, von denen ein Teil, und zwar 8 752 232,43 Euro, im Wert der Provisionen für die Vermarktung der gezeichneten Anteile durch die in der vorherigen Randnummer genannten Banken bestand, wobei dieser Betrag jedoch nicht die von den Banken für die in Rede stehenden Provisionen gezahlte Stempelsteuer umfasste. IMGA berechnete auch einen Betrag von 350 089,30 Euro Stempelsteuer in Höhe des in Nr. 17.3.4 TGIS vorgesehenen Satzes von 4 %, der diesen Vermarktungsprovisionen entsprach und den sie auf die Anlagefonds abwälzte, und führte diesen Betrag an den Staat ab.

15        Die Kläger des Ausgangsverfahrens legten gegen diese Erhebung der Stempelsteuer bei der Divisão de Serviço Central da Unidade dos Grandes Contribuintes (Abteilung des Zentralen Dienstes des Bereichs Großbetriebsprüfung, Portugal) Einspruch ein.

16        Da dieser Einspruch zurückgewiesen wurde, erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens Klage beim Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD], Portugal), dem vorlegenden Gericht, und beantragten u. a. die Feststellung der Rechtswidrigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Veranlagung und Selbstveranlagung der Stempelsteuer.

17        Sie stützten ihre Klage auf zwei Klagegründe. Gemäß dem ersten Klagegrund stellt die Erhebung der Stempelsteuer auf den Teil der den Anlagefonds von IMGA in Rechnung gestellten Verwaltungsgebühr, der den Vertriebsprovisionen und der darauf entfallenden Stempelsteuer entspreche, die zuvor von den Banken in Rechnung gestellt und von diesen bereits mit der geschuldeten Stempelsteuer belegt worden seien, eine Doppelbesteuerung einer einzigen Dienstleistung dar.

18        Dem zweiten Klagegrund zufolge muss nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 die Vermarktung von neuen Zeichnungen von Anteilen an Anlagefonds von jeder indirekten Besteuerung befreit sein. Diese Pflicht zur Steuerbefreiung betreffe sowohl die Vermarktungsdienstleistungen, die IMGA von den Banken in Rechnung gestellt würden, als auch die Weiterberechnung der Kosten dieser Dienstleistung durch IMGA an die Anlagefonds.

19        Nach Zurückweisung des ersten Klagegrundes führt das vorlegende Gericht aus, dass es im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes Zweifel hinsichtlich der Frage habe, ob das Unionsrecht der Erhebung einer Stempelsteuer auf die Vergütung entgegenstehe, die die Banken für die Dienstleistung der Vermarktung von Anteilen an Anlagefonds erhielten, sei es bei der Inrechnungstellung dieser Dienstleistungen an die Verwaltungsgesellschaft dieser Fonds oder bei der Abwälzung der für diese Dienstleistung entrichteten Beträge durch die Verwaltungsgesellschaft auf diese Fonds.

20        Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Steht Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008/7 einer nationalen Regelung wie Nr. 17.3.4 TGIS entgegen, die die Erhebung von Stempelsteuer auf Provisionen vorsieht, die Banken Gesellschaften, die offene Wertpapierfonds verwalten, für diesen gegenüber erbrachte Dienstleistungen in Rechnung stellen, die mit der Tätigkeit der Banken zusammenhängen, die auf die Herbeiführung neuer Zeichnungen von Anteilen gerichtet ist, d. h. auf neue Kapitalzuführungen für die Investmentfonds mittels der Zeichnung neuer von den Fonds ausgegebener Anteile?

2.         Steht Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008/7 einer nationalen Regelung entgegen, die die Erhebung von Stempelsteuer auf die Verwaltungsgebühren vorsieht, die Verwaltungsgesellschaften offenen Wertpapierfonds in Rechnung stellen, soweit diese Verwaltungsgebühren die Weiterberechnung der Provisionen umfassen, die die Banken den Verwaltungsgesellschaften für die genannte Tätigkeit in Rechnung stellen?

Zu den Vorlagefragen

21        Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Erhebung einer Stempelsteuer zum einen auf die Vergütung, die ein Finanzinstitut von einer Gesellschaft, die Anlagefonds verwaltet, für die Erbringung von Vermarktungsdienstleistungen zum Zweck neuer Kapitalzuführungen durch Zeichnung neu ausgegebener Fondsanteile erhält, sowie zum anderen auf die Beträge vorsieht, die diese Verwaltungsgesellschaft bei Anlagefonds erhebt, soweit diese Beträge die Vergütung beinhalten, die diese Verwaltungsgesellschaft an die Finanzinstitute für diese Vermarktungsdienstleistungen gezahlt hat.

22        Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2008/7 gemäß ihrem Art. 1 Buchst. a die Erhebung indirekter Steuern auf Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften regelt. Zu diesen indirekten Steuern gehören die Wertpapiersteuer sowie die anderen indirekten Steuern mit denselben Merkmalen wie die Wertpapiersteuer, wie dem zweiten Erwägungsgrund dieser Richtlinie zu entnehmen ist.

23        Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie sieht des Weiteren vor, dass alle Gesellschaften, Personenvereinigungen und juristischen Personen, die einen Erwerbszweck verfolgen und die nicht in eine Kategorie von in Abs. 1 dieses Artikels genannten Kapitalgesellschaften fallen, den Kapitalgesellschaften gleichgestellt werden.

24        Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuer eine Stempelsteuer darstellt, die auf die Vergütung der Banken für die Dienstleistungen der Vermarktung neuer Zeichnungen von Anteilen an Anlagefonds erhoben wird. Es geht auch daraus hervor, dass im portugiesischen Recht mit dem Begriff „Anlagefonds“ eine Vermögensmasse ohne Rechtspersönlichkeit gemeint ist, die den Anteilinhabern gemäß der allgemeinen Regelung über die Gemeinschaft gehören.

25        Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Zusammenschluss von Personen, der keine Rechtspersönlichkeit besitzt und dessen Mitglieder zur Verfolgung eines Erwerbszwecks einem gesonderten Vermögen Kapital zuführen, als „Personenvereinigung, die einen Erwerbszweck verfolgt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2008/7 anzusehen ist, so dass sie nach dieser letztgenannten Bestimmung für die Zwecke dieser Richtlinie einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 1987, Amro Aandelen Fonds, 112/86, EU:C:1987:488, Rn. 13).

26        Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass Anlagefonds wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kapitalgesellschaften gleichzustellen sind und infolgedessen in den Geltungsbereich der Richtlinie 2008/7 fallen.

27        Nach diesen einleitenden Erläuterungen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 den Mitgliedstaaten verbietet, auf die Ausfertigung, die Ausgabe, die Börsenzulassung, das Inverkehrbringen von oder den Handel mit Aktien, Anteilen oder anderen Wertpapieren gleicher Art sowie Zertifikaten derartiger Wertpapiere, ungeachtet der Person des Emittenten, eine Steuer irgendwelcher Art zu erheben.

28        In Anbetracht des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels ist deren Art. 5 gleichwohl weit auszulegen, um zu verhindern, dass den von ihm vorgesehenen Verboten die praktische Wirksamkeit genommen wird. Das Verbot einer Besteuerung von Kapitalansammlungsvorgängen gilt somit auch für Vorgänge, deren Besteuerung nicht ausdrücklich verboten ist, wenn diese darauf hinausliefe, dass ein Umsatz als Bestandteil eines Gesamtumsatzes im Hinblick auf die Ansammlung von Kapital besteuert würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2017, Air Berlin, C-573/16, EU:C:2017:772, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

29        So hat der Gerichtshof entschieden, dass, da eine Emission von Wertpapieren erst in dem Moment sinnvoll wird, in dem diese Titel Erwerber finden, eine Steuer auf den Ersterwerb eines neu emittierten Wertpapiers in Wirklichkeit die Emission dieses Wertpapiers selbst als Bestandteil eines Gesamtumsatzes im Hinblick auf die Ansammlung von Kapital trifft. Das Ziel, die praktische Wirksamkeit von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 zu wahren, verlangt somit, dass die „Ausgabe“ im Sinne dieser Bestimmung den Ersterwerb von Wertpapieren umfasst, der im Rahmen ihrer Emission erfolgt (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Juli 2004, Kommission/Belgien, C-415/02, EU:C:2004:450, Rn. 32 und 33).

30        Ebenso hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Übertragung des formellen Eigentumsrechts an Aktien, die nur für die Zwecke eines Vorgangs zur Zulassung dieser Aktien an der Börse und ohne Folgen für das tatsächliche Eigentum an ihnen erfolgt, als bloßer akzessorischer, zur Zulassung der Aktien gehörender Vorgang zu betrachten ist, auf den gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 keine Steuer irgendwelcher Art erhoben werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2017, Air Berlin, C-573/16, EU:C:2017:772, Rn. 35 und 36).

31        Da die Dienstleistungen der Vermarktung von Anteilen an Anlagefonds wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine enge Verbindung mit den Vorgängen der Ausgabe und dem Inverkehrbringen von Anteilen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 aufweisen, sind sie als Bestandteil eines Gesamtumsatzes im Hinblick auf die Ansammlung von Kapital anzusehen.

32        Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht fallen diese Fonds nämlich nach Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2009/65 in deren Geltungsbereich. Die Zahlung des den gekauften Anteilen entsprechenden Preises, was das einzige Ziel eines Vermarktungsvorgangs ist, gehört zum Wesen der Ansammlung von Kapital und ist, wie aus Art. 87 der Richtlinie 2009/65 hervorgeht, eine Voraussetzung, die erfüllt werden muss, damit die in Rede stehenden Fondsanteile ausgegeben werden.

33        Die Existenz von Anlageinstrumenten in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, um die Zeichnung von Anteilen an Anlagefonds zu bewerben, stellt folglich ein notwendiges geschäftliches Vorgehen dar, das demgemäß als akzessorischer Vorgang anzusehen ist, der zum Vorgang der Ausgabe und des Inverkehrbringens von Anteilen dieser Fonds gehört.

34        Des Weiteren ist es für die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7, da sie von einer engen Verbindung der Vermarktungsdienstleistungen mit solchen Vorgängen der Ausgabe und des Inverkehrbringens abhängt, unerheblich, dass entschieden wurde, diese Vermarktungsvorgänge an Drittanbieter zu vergeben, anstatt sie direkt durchzuführen.

35        In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zum einen diese Bestimmung die Pflicht der Mitgliedstaaten, die Vorgänge der Ansammlung von Kapital von der Steuer zu befreien, von keiner Voraussetzung in Bezug auf die Eigenschaft der Stelle abhängig macht, die damit beauftragt ist, diese Vorgänge durchzuführen. Zum anderen ist das Bestehen oder Nichtbestehen einer gesetzlichen Pflicht, die Dienstleistungen eines Dritten in Anspruch zu nehmen, keine maßgebliche Voraussetzung, wenn geklärt werden soll, ob ein Vorgang als Bestandteil eines Gesamtvorgangs zur Ansammlung von Kapital anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2017, Air Berlin, C-573/16, EU:C:2017:772, Rn. 37).

36        Daraus folgt, dass die Vermarktungsdienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestandteil eines Vorgangs der Ansammlung von Kapital sind, so dass ihre Belastung mit einer Stempelsteuer unter das in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 vorgesehene Verbot fällt.

37        Des Weiteren ist festzustellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung aufs Spiel gesetzt würde, wenn es, obwohl diese Bestimmung es verbietet, eine Stempelsteuer auf die von den Banken für die Dienstleistungen der Vermarktung von neuen Anteilen an Anlagefonds erhaltenen Vergütungen bei der Verwaltungsgesellschaft dieser Fonds zu erheben, erlaubt wäre, diese Vergütungen mit der Stempelsteuer zu belasten, wenn sie den in Rede stehenden Fonds von der Verwaltungsgesellschaft erneut in Rechnung gestellt werden.

38        Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/7 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Erhebung einer Stempelsteuer zum einen auf die Vergütung, die ein Finanzinstitut von einer Gesellschaft, die Anlagefonds verwaltet, für die Erbringung von Vermarktungsdienstleistungen zum Zweck neuer Kapitalzuführungen durch Zeichnung neu ausgegebener Fondsanteile erhält, sowie zum anderen auf die Beträge vorsieht, die diese Verwaltungsgesellschaft bei Anlagefonds erhebt, soweit diese Beträge die Vergütung beinhalten, die diese Verwaltungsgesellschaft an die Finanzinstitute für diese Vermarktungsdienstleistungen gezahlt hat.

Kosten

39        Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

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