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Document 52013AE0917

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2020 — innovative Gesundheitsfürsorge im 21. Jahrhundert“ — COM(2012) 736 final

ABl. C 271 vom 19.9.2013, p. 122–126 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.9.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 271/122


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2020 — innovative Gesundheitsfürsorge im 21. Jahrhundert“ —

COM(2012) 736 final

2013/C 271/23

Berichterstatterin: Isabel CAÑO AGUILAR

Die Europäische Kommission beschloss am 19. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2012 – innovative Gesundheitsfürsorge im 21. Jahrhundert

COM(2012) 736 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 154 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt den vorgeschlagenen Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2020 mit Interesse zur Kenntnis. In der Mitteilung fehlt jedoch ein Kapitel über die sozialen Aspekte der Bereitstellung von Dienstleistungen und die stärkere Entwicklung der Sozial- und Gesundheitsfürsorge.

1.2

Der EWSA erinnert daran, dass die Verantwortung für den Erfolg des neuen Plans grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten liegt, auch wenn die Kommission eine unerlässliche Hilfs- und Koordinierungsfunktion wahrnimmt.

1.3

Der Mensch muss im Mittelpunkt der elektronischen Gesundheitsdienste stehen. Es gilt, die Gefahr der „Unpersönlichkeit“ und der mangelnden Beachtung psychologischer Faktoren zu vermeiden.

1.4

Der EWSA bedauert insbesondere die abnehmende Zahl der Angehörigen der Gesundheitsberufe bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an das Gesundheitssystem.

1.5

Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitteilung nur bruchstückhafte Angaben dazu enthält, wie der neue Aktionsplan finanziert werden soll. Nötig ist eine allgemeine Übersicht darüber, welcher Beitrag jeweils vom öffentlichen Sektor, vom privaten Sektor und ggf. von den Patienten sowie den Steuerzahlern im Allgemeinen geleistet werden soll.

1.6

Der EWSA betont die Notwendigkeit, die in der Mitteilung dargelegten Programme, Aktivitäten und Arbeitsgruppen umfassend zu koordinieren, um die Gefahr von Überschneidungen zu vermeiden.

1.7

In Sachen Normung der notwendigen Funktionen der IT-Geräte muss die Notwendigkeit einer angemessenen Kontrolle durch die Behörden unterstrichen werden, um einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorzubeugen, wie er in bestimmten IKT-Bereichen vorkommt.

1.8

Der EWSA begrüßt die Entscheidung, einen weiteren grundlegenden Aspekt der Interoperabilität anzusprechen, und zwar die wichtigen rechtlichen Fragen, die der Einführung eines Systems der grenzüberschreitenden Telemedizin entgegenstehen.

1.9

Der EWSA hält den Vorschlag der Kommission, das unternehmerische Gefüge im Zusammenhang mit den elektronischen Gesundheitsdiensten insbesondere wegen der Unterstützung für die KMU weiterzuentwickeln, für angemessen, wenngleich der Mangel an Präzisierung und Quantifizierung eine genauere Bewertung behindert.

1.10

Zur Fazilität „Connecting Europe“ weist der EWSA darauf hin, dass diese sich nicht darauf beschränken darf, „Systeme zu verbinden“, sondern es auch ermöglichen muss, dass die Bürger die Vorteile eines „verbundenen Europas“ kennen, verstehen und nutzen.

1.11

Ziel des neuen Programms für elektronische Gesundheitsdienste muss es sein, einen gleichberechtigteren Zugang der Bürgerinnen und Bürger der EU zu den Gesundheitsdiensten zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wird die allgemeine Durchsetzung der Breitbandnetze eine grundlegende Rolle spielen.

Damit es bei den elektronischen Gesundheitsdiensten nicht zu denselben Ungleichheiten wie beim derzeitigen Zugang zu Gesundheitsdiensten kommt, sind umfassendere Maßnahmen und größere Investitionen als die im EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) vorgesehenen erforderlich.

1.12

Verbesserung der digitalen Gesundheitskultur: a) der Patienten: Unter Berücksichtigung der Erfahrung mit dem Projekt „Sustains“ ist es sehr wichtig, den Menschen den Zugang zu ihren eigenen, derzeit in Gesundheitsinformationssystemen „vorgehaltenen“ Daten sowie deren Nutzung zu ermöglichen; b) der Angehörigen der Gesundheitsberufe: Die Vermittlung von Kenntnissen über digitale Gesundheitsdienste muss in die Ausbildungsgänge aufgenommen gefördert werden.

2.   Einleitung

2.1

Seit die EU den ersten Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste (2004) aufgestellt hat, sind zwar Fortschritte zu verzeichnen. Der Konfigurierung eines integrierten europäischen Systems stehen jedoch nach wie vor Hindernisse entgegen, die u.a. zurückzuführen sind auf

fehlendes Wissen über und Vertrauen in Lösungen der elektronischen Gesundheitsdienste aufseiten der Patienten, der Bürger und der Angehörigen der Gesundheitsberufe,

mangelnde Interoperabilität zwischen Lösungen der elektronischen Gesundheitsdienste,

ungeeignete oder fragmentierte Rechtsrahmen,

regionale Unterschiede beim Zugang zu IKT-Diensten und den begrenzten Zugang in benachteiligten Gebieten.

2.2

Die Vervielfachung nicht miteinander kompatibler Produkte in Europa ist die unvermeidbare Folge der Marktfragmentierung und des Fehlens an Normen für Kommunikation und Informationsaustausch bzw. deren Unkenntnis seitens der Großabnehmer. Infolgedessen können die IKT-Systeme von Ländern, Nachbarregionen oder sogar Gesundheitseinrichtungen häufig nicht miteinander verbunden werden. So gibt es z.B. Krankenhäuser, in deren Radiologie-Abteilung eine maßgeschneiderte Software benutzt wird, die mit den in anderen Abteilungen desselben Krankenhauses verwendeten Programmen nicht kommunizieren kann.

2.3

In Einklang mit den Zielen der Europa-2020-Strategie und der Digitalen Agenda für Europa zielt der neue Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste darauf ab, diese Hindernisse anzugehen und zu beseitigen. Daneben enthält er eine Klarstellung des Politikfelds und eine Darlegung der mit den elektronischen Gesundheitsdiensten in Europa verbundenen Zielvorstellungen.

2.4

Der weltweite Markt der elektronischen Gesundheitsdienste, der stark expandiert, kann 2016 27,3 Mrd. US-Dollar erreichen. Einige europäische Großkonzerne nehmen weltweite Spitzenpositionen ein, und insgesamt sind in dieser Branche schätzungsweise 5 000 Unternehmen tätig.

3.   Die Vorschläge der Kommission

3.1

Die Kommission zeigt die Herausforderungen auf, mit denen die europäischen Gesundheitssysteme konfrontiert sind. Zum einen können die öffentlichen Gesundheitsausgaben in den 27 EU-Mitgliedstaaten bis 2060 aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und anderer Faktoren auf 8,5 % des BIP ansteigen, während gleichzeitig die aktive Bevölkerung ab- und die Zahl der über 65-Jährigen zunimmt. Eine weitere Herausforderung ist die Sicherung einer aktiven europäischen Teilnahme am weltweiten Markt der elektronischen Gesundheitsdienste.

3.2

Ziele:

eine bessere Interoperabilität bei den Dienstleistungen erreichen,

Forschung, Entwicklung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit unterstützen,

die Einführung und Gewährleistung der weiteren Verbreitung elektronischer Gesundheitsdienste erleichtern,

den politischen Dialog und die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich fördern.

3.3

Maßnahmen: Erleichterung der grenzüberschreitenden Interoperabilität (technische und semantische Elemente, Qualitätskennzeichnung, Zertifizierung), Verabschiedung eines Grünbuchs über Gesundheit, Verbesserung der Marktbedingungen für Unternehmen und Steigerung der digitalen Kompetenz der Bürger (Rahmenprogramm für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit und Programm Horizont 2020) u.a.

4.   Standpunkt des EWSA – Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nimmt den vorgeschlagenen Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2020 mit Interesse zur Kenntnis.

4.2

Der EWSA ist gleichwohl der Auffassung, dass der Plan ein Kapitel über die sozialen Aspekte der Bereitstellung von Dienstleistungen enthalten sollte. Konkret sind dies folgende: angemessene Bewältigung der digitalen Kluft, Verfügbarkeit der Technologie und Fähigkeit zu deren Anwendung, Analyse der sozialen Ungleichheiten im Gesundheitswesen, die möglicherweise zunehmen. Thematisiert werden sollte auch eine stärkere Entwicklung der Sozial- und Gesundheitsfürsorge, die mithilfe der IKT erheblich erleichtert werden könnte.

4.3

Der EWSA erinnert daran, dass die Verantwortung für den Erfolg des Aktionsplans aufgrund der Verteilung von Zuständigkeiten grundsätzlich den Mitgliedstaaten obliegt, wobei zwischen diesen derzeit erhebliche Unterschiede bei der Einführung der elektronischen Gesundheitsdienste bestehen.

Die Kommission nimmt eine hauptsächlich auf den Artikeln 114, 168, 173 und 179 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beruhende, unverzichtbare Hilfs- und Koordinierungsfunktion wahr. Im Rahmen des Netzes elektronischer Gesundheitsdienste muss eine umfassende Zusammenarbeit und aktive Beteiligung der Mitgliedstaaten und der Kommission gegeben sein (Richtlinie 2011/24/EU).

4.4

Die elektronischen Gesundheitsdienste müssen das wechselseitige Vertrauen unter Patienten und Gesundheitsfachkräften fördern und dabei die Gefahr der „Unpersönlichkeit“ und der mangelnden Beachtung psychologischer Faktoren vermeiden. Der Mensch muss im Mittelpunkt der elektronischen Gesundheitsdienste stehen. Der EWSA stellt jedoch fest, dass für bestimmte, die Patientenrechte vertretende europäische Verbände, wie das Europäische Patientenforum (EPF), der Prozess mehr von der Technologie als von den Bedürfnissen der Patienten angetrieben wird. Dies ist ein besorgniserregender Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt.

4.5

Fehlendes Personal kann nicht durch Informatik ersetzt werden. Der EWSA bedauert insbesondere die abnehmende Zahl der Angehörigen der Gesundheitsberufe bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an das Gesundheitssystem. Die IKT ist lediglich ein Instrument zur Unterstützung jener Frauen und Männer, die sich tagtäglich aufopferungsvoll dafür einsetzen, Gesundheitsdienstleistungen für die Patienten zu erbringen. Den Patienten wiederum soll sie den Umgang mit den Gesundheitsfachkräften erleichtern.

4.6

Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitteilung nur bruchstückhafte Angaben dazu enthält, wie der neue Aktionsplan finanziert werden soll. Nötig ist eine allgemeine Übersicht darüber, welcher Beitrag jeweils vom öffentlichen Sektor, vom privaten Sektor und ggf. von den Patienten sowie den Steuerzahlern im Allgemeinen geleistet werden soll.

4.7

Angesichts der in der Mitteilung der Kommission dargelegten Programme, Aktivitäten, Projekte und Arbeitsgruppen betont der EWSA die Notwendigkeit, diese umfassend zu koordinieren, um drohende Überschneidungen zu vermeiden.

4.8

Der Erfolg des neuen Aktionsplans für elektronische Gesundheitsdienste hängt davon ab, ob bei den Erbringern von Gesundheitsdienstleistungen ein organisatorischer Wandel erfolgt. Die Verbesserung des Zugangs zu elektronischen Gesundheitsdiensten kann nicht nur der Verantwortung der obersten Verwaltungsbehörden oder der Bevölkerung als Endnutzer überlassen werden. Die Zwischenebene der Organisationen, die Gesundheitsdienstleistungen erbringen, muss sich um eine Anpassung ihrer Strukturen und ihres Personals an diese neuen Gesundheitsdienstmodelle bemühen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Interoperabilität

5.1.1   Technische und semantische Aspekte

5.1.1.1   Der EWSA hält den Vorschlag der Kommission zur Interoperabilität generell für geeignet, weist jedoch darauf hin, dass es nicht ausreicht, die Möglichkeit des Daten- oder Dokumentaustauschs mittels gemeinsamer Protokolle einzuführen, da auch Probleme semantischer, organisatorischer und rechtlicher Art gelöst werden müssen.

5.1.1.2   Semantische Interoperabilität

Im Kommissionsvorschlag sollte die Beziehung der verschiedenen Programme, Aktivitäten oder Arbeitsgruppen – wie u.a. des 7. Rahmenprogramms und ISA – zu SNOMED CT (Systematized Nomenclature of Medicine – Clinical Terms) klargestellt werden; SNOMED ist die weltweit größte, genaueste und wichtigste mehrsprachige und kodifizierte Sammlung klinischer Terminologie, die von der International Health Terminology Standards Development Organisation (IHTSDO) verbreitet wird. Die IHTSDO ist eine gemeinnützige Organisation mit Mitgliedern aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, den USA, Australien usw.

5.1.1.3   Normung

Im Bereich der elektronischen Gesundheitsdienste gibt es zahlreiche Soft- und Hardwareanbieter. Es ist von grundlegender Bedeutung, den Prozess der Normung der notwendigen Funktionen im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 weiter voranzutreiben, um der Industrie und den Nutzern – insbesondere denen, die Kaufentscheidungen treffen können – interessante Rahmenbedingungen mit weniger Risiken, größerer Rendite bzw. mehr Nutzen ihrer Investition bieten zu können. Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit einer angemessenen Kontrolle durch die Behörden, um einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorzubeugen, wie er in bestimmten IKT-Bereichen vorkommt.

5.1.1.4   Organisation

Der EWSA hält die Entscheidung der Kommission, konkrete Maßnahmen zur Integration und Zusammenarbeit in der EU vorzulegen, für positiv. Das Pilotprojekt EPSOS (European Patients Smart Open Services) (1) wird die Erarbeitung der von der Kommission angekündigten konkreten Maßnahmen zur Integration der grenzüberschreitenden Prozesse für elektronische Gesundheitsdienste erleichtern.

5.1.1.5   Rechtliche Aspekte

5.1.1.5.1   Der EWSA begrüßt den Entschluss, die wichtigsten rechtlichen Fragen aufzugreifen, die der Einführung eines Systems der grenzüberschreitenden Telemedizin entgegenstehen (2). Da es sich um innovative Technologien handelt, sind die rechtlichen Lücken und Hindernisse weder auf weltweiter noch auf einzelstaatlicher Ebene gänzlich beseitigt worden.

5.1.1.5.2   Vergabe von Zulassungen und Genehmigungen für Gesundheitsfachkräfte und medizinische Einrichtungen

Gemäß der Richtlinie 2011/24/EU über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung gelten die Rechtsvorschriften des Behandlungsmitgliedstaats (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) (3). Der EWSA schlägt vor, eine Überarbeitung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen zu erwägen, die keine grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen vorsieht.

5.1.1.5.3   Datenschutz

Gesundheitsinformationen sind vertraulich. Die Patienten wollen diese Informationen und den Zugriff auf sie zu ihrem Vorteil kontrollieren. Die Diskussion über das Recht der Patienten, Informationen aus ihrer eigenen Krankengeschichte zu blockieren, muss weltweit geführt werden, um zu gleichen Normen für alle Bürgerinnen und Bürger der EU zu gelangen. Der EWSA erinnert daran, dass mangelndes Vertrauen in die Sicherheit der Gesundheitsdaten die Patienten dazu veranlassen kann, wesentliche Informationen zu verheimlichen.

5.1.1.5.4   Der Schutz personenbezogener Daten ist ein im AEUV (Art. 16) und in der Grundrechtecharta (Art. 7 und 8) verankertes Grundrecht. In der Richtlinie 95/46/EG ist ein solcher Schutz bei der Verarbeitung und dem freien Verkehr der Daten vorgesehen (4). Der Spielraum, der den Mitgliedstaaten für deren Umsetzung eingeräumt wurde, hat jedoch zu großen Unterschieden im Schutzniveau geführt, was derzeit eines der größten Hindernisse für die grenzüberschreitende Telemedizin darstellt. Der EWSA bekräftigt daher erneut seine Unterstützung für den Vorschlag für eine allgemeine Datenschutzverordnung (5), wie er sie in seiner Stellungnahme vom 23. Mai 2012 geäußert hat (6).

5.1.1.5.5   Erstattung

Der Versicherungsmitgliedstaat (in dem die medizinische Leistung erbracht wird) muss ggf. sicherstellen, dass die Kosten der grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistung erstattet werden (Richtlinie 2011/24/UE Artikel 7 Absatz 1). Nach Ansicht des EWSA müssen die Patienten klare Informationen über die Erstattungsbedingungen erhalten.

5.1.1.5.6   Haftung für Schäden, die durch Behandlungsfehler und fehlerhafte medizinische Geräte verursacht wurden

Dies ist u.a. auch deshalb eine komplexe Materie, weil viele verschiedene Akteure beteiligt sein können. Bei der grenzüberschreitenden Erbringung medizinischer Leistungen gilt ein allgemeiner Grundsatz, nämlich die Anwendung der Rechtsvorschriften des Behandlungsmitgliedstaats (Richtlinie 2011/24/EU Artikel 4 Absatz 1). Bei fehlerhaften Produkten gilt die Richtlinie 85/374/EWG, in der das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung festgelegt ist. Nach Ansicht des EWSA müssen im Rahmen der bestehenden Rechtsgrundlage Einzelfälle gerichtlich gelöst werden.

5.1.1.5.7   Geltende Rechtsprechung und Gesetzgebung

Auch hierbei handelt es sich um eine komplizierte Frage, die entsprechend den geltenden internationalen Normen und Verträgen angegangen werden muss. Der EWSA schlägt vor, Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung wie Schieds- und Vermittlungsverfahren in Erwägung zu ziehen.

5.1.1.5.8   Recht auf Zugang

Patienten und Bürger haben einen umfangreicheren Zugang zu Gesundheitsinformationen und zu ihrer persönlichen Krankengeschichte. Einige Regionen haben ihr Dienstleistungsangebot erhöht und bieten für die gesamte Bevölkerung, ausgewählte Gruppen von Risikopatienten oder ganze Regionen 24-Stunden-Behandlungs- und Dienstleistungszentren an. Die Patienten können ihre Termine selbst ausmachen und entsprechenden Zugang zu den in ihrer Krankenakte enthaltenen Informationen erlangen. Sie werden so dazu angehalten, aktiv ihren Teil der Verantwortung an ihrer Gesundheitsfür- und -vorsorge zu übernehmen. Der EWSA hält eine Regelung des Rechts auf Zugang bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen für zweckmäßig.

5.1.1.5.9   Mobile Anwendungen für Gesundheitsfürsorge und Wohlergehen

Der EWSA begrüßt den Entschluss der Kommission, die mobilen Anwendungen für Gesundheitsfürsorge und Wohlergehen („Mobile E-Health“) in dem für 2014 vorgesehenen Grünbuch zu behandeln. Dieser besondere Bereich der elektronischen Gesundheitsdienste weitet sich derzeit aufgrund der Verbreitung tragbarer Geräte (Smartphones, Tablets usw.) und entsprechender Anwendungen (Apps) schnell aus. Aufgrund ihrer zunehmenden Verbreitung in der Bevölkerung werden Regeln für die technischen und rechtlichen Aspekte des Gebrauchs dieser Möglichkeiten notwendig.

5.2   Forschung, Entwicklung und Innovation

5.2.1

Der EWSA hält die von der Kommission vorgeschlagenen Forschungsbereiche für geeignet, um im Rahmen der Rubrik „Gesundheit, demografischer Wandel und Wohlergehen“ des Programms Horizont 2020 bezuschusst zu werden.

5.2.2

Da die Höhe der Mittel, die die EU im Zeitraum 2014-2020 für die medizinische Forschung aufwenden wird, noch nicht festgelegt wurde, verweist der EWSA darauf, dass das amerikanische National Institute of Health jährlich 30,9 Mrd. US-Dollar für diese Zwecke investiert.

5.2.3

In Erwartung der Vorschläge von Interessenvertretungen aus dem Gesundheitswesen wie der EPHA (European Public Health Alliance) schlägt der EWSA vor, in den Forschungsprogrammen u.a. folgende Aspekte zu berücksichtigen:

die Ergänzung um andere Programme wie das Programm „Gesundheit für Wachstum“ durch die Festlegung zuverlässiger Statistiken über die Entwicklung von Krankheiten mit hoher Inzidenz in der Bevölkerung: Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes usw.;

die Koordinierung, da die Forscher üblicherweise unabhängig und mit unzureichender Kommunikation untereinander gearbeitet haben;

die Bedingungen der Patente für die vom Steuerzahler finanzierten Arbeiten, um zu vermeiden, dass die Risiken der Forschung vergesellschaftet, ihre Gewinne hingegen privatisiert werden (7).

5.3   Der EWSA hält den Vorschlag der Kommission, das unternehmerische Gefüge im Zusammenhang mit den elektronischen Gesundheitsdiensten insbesondere wegen der Unterstützung für die KMU weiterzuentwickeln, für angemessen, wenngleich der Mangel an Präzisierung und Quantifizierung eine genauere Bewertung behindert.

5.4   Zur Fazilität „Connecting Europe“ 2014-2020 weist der EWSA im Nachgang zu den Ergebnissen des Pilotprojekts EPSOS und weiterer Vorhaben und Studien darauf hin, dass diese sich nicht darauf beschränken darf, „Systeme zu verbinden“: Sie muss es auch ermöglichen, dass die Menschen die Vorteile eines „verbundenen Europas“ kennen, verstehen und nutzen.

5.5   Zusammenhalt

5.5.1

Ziel des neuen Programms für elektronische Gesundheitsdienste muss es sein, einen gleichberechtigteren Zugang der Bürgerinnen und Bürger der EU zu den Gesundheitsdiensten zu gewährleisten. Wie der EWSA bereits ausgeführt hat, sind ein Zugang zum Breitbandnetz in allen Mitgliedstaaten und die volle Anschlussfähigkeit Grundvoraussetzungen für die Entwicklung der Telemedizin, weshalb die digitale Erschließung insbesondere der ländlichen Gebiete und der Regionen in äußerster Randlage vorangebracht werden muss (8).

5.5.2

Kurz vor Ende des derzeitigen Programmplanungszeitraum des EFRE vertraut der EWSA darauf, dass im Zeitraum 2014-2020 die Vorschläge für eine umfassende Einführung von Technologien der neuesten Generation in der gesamten EU weiterentwickelt und vor allem mit angemessenen Haushaltsmitteln ausgestattet werden. Damit es bei den elektronischen Gesundheitsdiensten nicht zu denselben Ungleichheiten wie beim derzeitigen Zugang zu Gesundheitsdiensten kommt, sind umfassendere Maßnahmen und größere Investitionen als die im EFRE vorgesehenen erforderlich.

5.6   Verbesserung der digitalen Gesundheitskultur

5.6.1

Diesbezüglich ist dem EWSA mit Blick auf die Patienten Folgendes sehr wichtig: Den Menschen muss der Zugang zu ihren eigenen, derzeit in Gesundheitsinformationssystemen „vorgehaltenen“ Daten sowie deren Nutzung ermöglicht werden. Zu erwähnen ist hier das Projekt „Sustains“, das derzeit in 13 europäischen Regionen läuft und mit dem der Zugang der Menschen zu ihren Gesundheitsdaten über „persönliche Gesundheitsakten“ und weiteren dazugehörigen Diensten im Internetumfeld erleichtert werden soll.

5.6.2

Im Falle der Angehörigen der Gesundheitsberufe muss die Aufnahme der Vermittlung von Kenntnissen über digitale Gesundheitsdienste in deren Ausbildungsgänge unbedingt gefördert werden.

5.7   Bewertung der Programme

5.7.1

Der EWSA meint, dass die – von der Kommission durchzuführende – Festlegung gemeinsamer Werte und Programme zur Bewertung der Vorzüge elektronischer Gesundheitsdienste einer der wichtigsten Aspekte ist, denn die Geschwindigkeit des technischen Wandels macht es häufig schwer, ihren tatsächlichen Nutzen festzustellen. Aus den durchgeführten Umfragen geht hervor, dass die Unterstützung der Bevölkerung und der Gesundheitsfachkräfte für elektronische Gesundheitsdienste unmittelbar mit der Überzeugung verknüpft ist, dass diese Dienste zu einer messbaren Verbesserung des Gesundheitssystems führen.

5.7.2

Der EWSA weist außerdem darauf hin, dass die gute Kenntnis der Modelle und Technologien, die positive Auswirkungen haben, sowie ihre ausdrückliche Förderung für die IKT-gestützten Gesundheitsmodelle von grundlegender Bedeutung sind. Um diesen Nutzeffekt zu erzielen, bedarf es flexibler und dynamischer Bewertungsmethoden, wobei das Augenmerk mehr auf der Gesamtbewertung der erbrachten Dienstleistung und weniger auf der Technik als solcher liegen sollte. Auch eine Bewertung der Effizienz der Dienstleistung – im Zusammenhang mit ihren wirtschaftlichen Gesamtkosten und –nutzen – muss mit aufgenommen werden, wenngleich die Wirtschaftlichkeit natürlich nicht das einzige Kriterium zugunsten der Verwendung IKT-gestützter Gesundheitsversorgungsmodelle sein darf.

5.7.3

Im Allgemeinen überwiegt bei den Behörden, der Industrie und den Interessenvertretungen der Eindruck, dass die elektronischen Gesundheitsdienste (die sehr unterschiedliche Anwendungen umfassen) Gesundheitsvorteile bringen können. Der EWSA teilt diese Auffassung, weist jedoch darauf hin, dass es auch die kritischen, auf tatsächlichen Erfahrungen beruhenden Stimmen zu berücksichtigen gilt, die Kosteneinsparungen anzweifeln und auf Probleme hinweisen, wie Informatikfehler, das „Klonen“ von Berichten, Betrugsmöglichkeiten, hohe Kosten usw.

5.8   Förderung des politischen Dialogs und der internationalen Zusammenarbeit

Es liegt auf der Hand, dass der politische Dialog über elektronische Gesundheitsdienste, wie die Kommission vorschlägt, weltweit geführt werden muss, denn die Entwicklungsländer unternehmen auf diesem Gebiet ebenfalls große Anstrengungen. So wird der Weg bereitet für eine Nutzung der IKT im Sinne der Ziele der Vereinten Nationen und ihre Anwendung im Geiste der Solidarität.

Brüssel, den 22. Mai 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  EPSOS erstellt Empfehlungen, technische Spezifikationen, Systembeschreibungen, Organisationsmodelle, Informatikanwendungen und -instrumente usw., die darauf abzielen, die Interoperabilität auf multinationaler Ebene zu verbessern. Darüber hinaus sind in verschiedenen Regionen Pilotsysteme eingeführt worden.

(2)  Siehe Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Anwendbarkeit des bestehenden EU-Rechtsrahmens auf Telemedizindienste, SWD(2012) 414 final.

(3)  Siehe Richtlinie 2000/31/EG Artikel 3 Absätze 1 und 2, „Ursprungslandsprinzip“.

(4)  Es gelten auch die Richtlinie 2002/58/EG über den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und die Richtlinie 2011/24/EU.

(5)  COM(2012) 11 final – 2012/0028 (COD).

(6)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Der digitale Markt als Wachstumsmotor“, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 90–97.

(7)  Standpunkt der EPHA zu „Horizont 2020“ (Juni 2012) (http://ec.europa.eu/research/horizon2020/pdf/contributions/during-negotiations/european_organisations/european_public_health_alliance.pdf).

(8)  ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 84.


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