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Document 52008AE1668

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die EU und das weltweite Nahrungsmittelproblem

ABl. C 100 vom 30.4.2009, p. 44–52 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

30.4.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 100/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die EU und das weltweite Nahrungsmittelproblem“

2009/C 100/08

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 an den EWSA-Präsidenten DIMITRIADIS ersuchte der französische Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zu dem Thema:

„Die EU und das weltweite Nahrungsmittelproblem“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. Oktober 2008 an. Berichterstatter war Herr KALLIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 448. Plenartagung am 21.—23. Oktober 2008 (Sitzung vom 22. Oktober) mit 73 gegen 11 Stimmen bei 27 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die EU die langfristige Ausrichtung der Landwirtschafts- und Handelspolitik prüfen und der Frage nachgehen sollte, ob die Nahrungsmit-telversorgung unter den veränderten Gegebenheiten in der EU und auf der globalen Ebene als gesichert betrachtet werden kann.

1.2   Die EU muss die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln zum zentralen Thema ihrer Landwirtschaftspolitik machen, die eine rentable Erzeugung in allen Gebieten der EU gestatten sollte. Dies muss im Kontext des GAP-Gesundheitschecks erfolgen.

1.3   Die Nahrungsmittelerzeugung muss Vorrang vor der Energieerzeugung haben. Bei der Energieerzeugung aus Pflanzenmaterial sollten solche Pflanzen oder Biomasse bevorzugt werden, die normalerweise nicht für die Nahrungsmittelerzeugung in Frage kommen.

1.4   Erzeugerpreise in angemessener Höhe sind eine stabile Grundlage für eine ausreichende Nahrungsmittelversorgung (Primärerzeugung und Verarbeitung) sowohl in der EU als auch welt-weit.

1.5   Im Handel mit Landwirtschaftserzeugnissen ist auf ein Regelwerk hinzuarbeiten, das die Nahrungsmittelversorgung in allen Ländern und unter allen Umständen gewährleistet. Den Entwicklungsländern sind Vorzüge einzuräumen, die die Stärkung der nationalen Erzeugung unterstützen.

1.6   Die EU muss mit den Entwicklungsländern stärker zusammenarbeiten und diese stärker unterstützen, sodass sie ihre Nahrungsmittelketten modernisieren und leistungsfähiger gestalten können.

1.7   Der EWSA betont, dass die EU Anstrengungen unternehmen muss, um die Arbeit von Erzeugervereinigungen und Marktorganisationen in den Entwicklungsländern zu stärken und auf diese Weise die Grundvoraussetzungen für die Nahrungsmittelversorgung zu verbessern. Die EU muss zu dem Vorschlag stehen, die Bauern in den Entwicklungsländern mit Hilfen im Gesamtwert von einer Milliarde Euro zu unterstützen.

1.8   Die EU muss ihre Förderanstrengungen im Bereich der neuen Technologien einschließlich der Biotechnologie erhöhen, damit ihre Anwendungen zum praktischen Einsatz gelangen können.

1.9   Die künftige Strategie muss auf eine Verbesserung der Qualität von Nahrungsmittelerzeugnissen ausgerichtet sein, und die Lebensmittelsicherheit muss durch eine transparente Herkunftslandbezeichnung und die Aufklärung der Verbraucher erhöht werden.

1.10   Die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel dürfen nicht künstlich gesenkt werden, sondern die Preiskompensation sollte durch die Sozialpolitik erfolgen.

1.11   Die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen sollten die Erzeugung von Nahrungsmitteln als Ausgangspunkt der Armutsbekämpfung zur ersten Priorität machen.

1.12   Zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung sollte nach dem Vorbild des in der EU aufgebauten Systems der Ölbevorratung ein globales Programm zur verpflichtenden Lagerhaltung ins Leben gerufen werden.

1.13   Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in der EU muss ein besseres Lagerhaltungssystem für die wichtigsten Erzeugnisse und Einsatzgüter (Protein, Düngemittel, Saatgut, Pflanzenschutzmittel) geschaffen und müssen aktive Maßnahmen ergriffen werden, um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, der EU und den am Handel Beteiligten zu verbessern.

1.14   Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit muss der Ausbildungsstand in diesem Bereich sowohl in der EU, aber auch insbesondere in den Entwicklungsländern angehoben werden, um auf die neuen Herausforderungen durch die Nahrungsmittelkrisen zu reagieren.

1.15   Der EWSA hält es für sinnvoll, dass die EU Joint Ventures im Bereich der Landwirtschaft und der Fischerei in den Entwicklungsländern gründet, um die wirtschaftlichen Bedingungen in diesen Ländern zu verbessern.

1.16   Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, Vorschläge vorzulegen, nach denen die Mitgliedstaaten mehr Mittel für Forschung, Entwicklung und Innovation im Fischereisektor aufwenden sollen, insbesondere für den Bau und den Unterhalt von Meeresforschungsschiffen. Deren Forschungen und Arbeiten tragen zur Erhaltung und Entwicklung einer nach-haltigen Fischerei ebenso bei wie zur Ernährung und zu den sozioökonomischen Bedingungen der am wenigsten entwickelten Länder.

2.   Einleitung

2.1   Die Gesundheit der europäischen Bürger und ihre Sorge um die Zukunft, der jüngste starke Preisanstieg für landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel und das drängende Thema des Hungers in der Welt im Allgemeinen machen das weltweite Nahrungsmittelproblem zu einem Schwerpunkt der öffentlichen Debatte. Die Preise für Ausgangserzeugnisse im Agrarprodukte- und Lebensmittelsektor sind seit den 70er Jahren stetig gefallen. Der Aufwärtstrend der letzten drei Jahre ist eine Entwicklung in die richtige Richtung, die dem schwächsten Glied der Kette, den Verbrauchern, Probleme bereitet. Sie müssen Preise für Grundnahrungsmittel hinnehmen, die in manchen Fällen erheblich über dem Erzeugerpreis liegen, den der Landwirt erhält. Einem Teil der europäischen Landwirtschaft nützen die höheren Preise zwar, doch ist auf die kritische Situation der europäischen Viehwirtschaft hinzuweisen, die den Anstieg der Futtermittelpreise nicht auffangen und ihre höheren Kosten auch nicht an die Verbraucher weitergeben kann. In diesem Stellungnahmeentwurf werden Probleme der Nahrungsmittelversorgung aus der EU-Perspektive heraus beleuchtet und zugleich die gesellschaftlichen Auswirkungen der EU-Maßnahmen im weiteren Sinne untersucht (1).

2.2   Im Mittelpunkt stehen dabei die Nahrungsmittelversorgung und die Versorgungssicherheit. Die weltweiten Nahrungsmittelprobleme sollen ermittelt und Vorschläge für eine geeignete Reaktion unterbreitet werden. In der Tat haben die starken Marktveränderungen radikale Kommentare ausgelöst: Von mancher Seite wurde sogar vorgeschlagen, Landwirtschafts- und Ernährungsfragen aus den WTO-Verhandlungen herauszulösen und auf EU-Ebene zu produktionsgebundenen Beihilfen zurückzukehren. Schließlich werden die Auswirkungen dieser Herausforderungen untersucht sowie mögliche Antworten auf die wichtigsten gesellschaftlichen Fragen gegeben: Was bedeuten sie für die Verbraucher in Europa? Was bedeuten sie für die langfristige Lebensmittelversorgung in den Entwicklungsländern? Inwiefern tragen sie zur Dynamik der ländlichen Gebiete bei?

2.3   Am Anfang steht ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugung und Lebensmittelproduktion in der EU und die europäische Politik in diesem Bereich, und die Grundzüge des derzeitigen EU-Rahmens für die landwirtschaftliche Erzeugung und Lebensmittelherstellung werden erläutert. Anschließend wird auf die wichtigen externen Kräfte eingegangen, die den Wandel antreiben und eine Weiterentwicklung des bestehenden Rahmens erforderlich machen. Auf der Grundlage dieser Analyse wird eine Zusammenfassung erarbeitet, in der die wichtigsten künftigen Herausforderungen für die Landwirtschaft und die Lebensmittelversorgung der EU und alternative Handlungsansätze aufgezeigt werden. Schließlich werden diese Ansätze und die Rolle der EU als Hersteller und als Verbraucher bei der weltweiten Lebensmittelversorgung dargelegt.

3.   Die Agrar- und Lebensmittelpolitik der EU und die Trends in diesem Bereich

3.1   Die agrar- und lebensmittelpolitischen Ziele der EWG/EU, Wachstum und Wandel im Sektor und auf den Märkten

3.1.1   Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugung und Lebensmittelherstellung in der EU verlief im Laufe der Jahrzehnte im Einklang mit anderen Bereichen der gesellschaftlichen Entwicklung. Zunächst lag der Schwerpunkt auf der Produktionssteigerung. Infolge dessen gab es in den 80er Jahren erhebliche Exportüberschüsse. In jenem Jahrzehnt traten ökolo-gi-sche Probleme in der Landwirtschaft zu Tage, wie beispielsweise die Ausbringung von Düngemitteln in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft oder Wasserversorgungsprobleme.

3.1.2   Der ökologische Landbau war die Antwort auf die beträchtlichen Anbau- und Umweltprobleme und ist ein Beispiel für Produktdifferenzierung: Bestimmte Verbrauchergruppen sind bereit, für Lebensmittel mehr zu zahlen, die nach Methoden hergestellt werden, die als umweltfreundlich gelten. Die 90er Jahre bleiben als das Jahrzehnt der Tierseuchen und Zoonosen in Erinnerung. Damals hatten die Nutztierhalter und die Lebensmittelindustrie der EU mit Rinderwahn und Schweinepest zu kämpfen. Die Lebensmittelsicherheit wurde zu einem wichtigen Faktor der Lebensmittelversorgung, und viele Länder begannen, mehr Aufwand beispielsweise in der Salmonellenbekämpfung und -vorbeugung zu betreiben.

3.1.3   Diese Probleme und die Maßnahmen, die zu ihrer Bekämpfung ergriffen wurden, trugen zur Entwicklung der Agrar- und Lebensmittelpolitik der EU bei. Zu den aktuellen Themen der letzten Jahre zählt die Erzeugung von Bioenergie aus landwirtschaftlichen Rohstoffen, d. h. die Landwirtschaft als Quelle für Bioenergierohstoffe.

3.1.4   Ein weiterer Gesichtspunkt, der in den Vordergrund gerückt ist, ist der Nährwert von Lebensmitteln und dessen Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, wobei die Zusammensetzung von Lebensmitteln und die Frage, inwieweit die Lebensmittelindustrie für das wachsende Problem der Übergewichtigkeit im Westen verantwortlich ist, im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Dies ist eine Frage, der die Nahrungsmittelwirtschaft Rechnung tragen muss, z. B. bei der Produktkonzipierung und -vermarktung, und die die Verbraucher in ihren Konsumentscheidungen berücksichtigen müssen. Ein verantwortungsvoller Konsum muss durch Verbraucheraufklärung gestützt werden.

3.1.5   Ein hochaktuelles Thema ist derzeit der starke Anstieg der Preise für Lebensmittel und landwirtschaftliche Einsatzgüter und Enderzeugnisse: Die Frage ist, ob es sich hierbei um einen dauerhaften Anstieg handelt und welche Auswirkungen er auf die weltweite Lebensmittel-versorgung und die Lebensbedingungen der Armen haben wird. Die veränderte Marktlage sollte auch den Entscheidungsträgern zu denken geben: Greifen die politischen Maßnahmen, die für Märkte mit niedrigen und immer weiter fallenden Nahrungsmittelpreisen gedacht sind, unter den neuen Gegebenheiten überhaupt noch?

3.2   Die Agrar- und Fischereipolitik der EU — Ziele und Wandel

3.2.1   Die Agrarpolitik der EU stützt sich auf einen soliden Binnenmarkt und eine Marktregulierung mithilfe von Beihilferegelungen, deren Ziel es ist, in allen Ländern unter allen Bedingungen eine stabile Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Die EU legt ihrer Politik ein europäisches Landwirtschaftsmodell zugrunde, das die landwirtschaftliche Vielfalt schützt und gewährleistet, dass der Landbau selbst in den benachteiligten Gebieten der EU rentabel ist. Ziel war es, für die Verbraucher hochwertige und sichere Lebensmittel zu angemessenen Prei-sen herzustellen.

3.2.2   Die internationale Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik als Teil der Globalisierung hat im Hinblick auf die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik neue Herausforderungen mit sich gebracht. Dazu zählen die zunehmende Konkurrenz und das Problem der politischen Maßnahmen im Bereich der Einkommen von Landwirten. Jahrelang bestand das Problem der Agrarmärkte in den niedrigen Preisen für Produkte, was die EU im Wege von Agrarreformen zu beheben versuchte.

3.2.3   Mit den Agrarreformen von 1999 und 2003 wurde ein stärker marktorientiertes System eingeführt, die Interventionsmechanismen wurden abgeschafft, die Verwaltungskosten reduziert und die Entkopplung direkter Beihilfen vom Produktionsvolumen durchgesetzt. Es folgten Reformen der Marktordnungen für zahlreiche Produkte, was einigen Landwirten in der EU Probleme bereitete. Diese Neujustierungen bildeten die Grundlage für die Ziele der EU im Rahmen der laufenden WTO-Handelsgespräche.

3.2.4   Die EU arbeitet derzeit an einer Generalüberprüfung der Gemeinsamen Agrarpolitik, die für einige Feineinstellungen genutzt werden sollte. Die Hauptziele dieses „Gesundheitschecks“ sind es, die Umsetzung der GAP-Reform von 2003 zu beurteilen und diejenigen Anpassungen in den Reformprozess einzubeziehen, die für eine weitere Vereinfachung der GAP, das Erschließen neuer Marktchancen und die Bewältigung neuer Herausforderungen auf dem Markt und in der Gesellschaft als erforderlich angesehen werden. Diese Generalüberprüfung erfolgt in einer Zeit großer Turbulenzen auf den internationalen Agrarmärkten, die ernste Bedrohungen der Lebensmittelversorgung mit sich brachten.

3.2.5   Neben der Landwirtschaft ist die Fischerei ein Grundpfeiler unserer Nahrungsmittelversorgung. Die globale Fischerei- und Aquakulturproduktion erreichte im Jahre 2005 knapp 142 Millionen Tonnen, was einer Produktion von 16,6 kg pro Kopf und einem Anteil von 15 Prozent an der globalen Tiermehlproduktion entspricht. Fischereiprodukte erfüllen eine wichtige Funktion in der Nahrungsmittelversorgung. Weiterhin sind Fischerei und Aquakultur eine wichtige Quelle für Ernährung, Arbeitsplätze und Einkommen in Europa und in den Entwicklungsländern. Die Europäische Union sollte danach streben, dass auch die Entwicklungsländer ihre Fischbestände möglichst gut bewirtschaften und nutzen können.

3.2.6   Die EU muss in ihrem Handeln eine ganzheitliche Herangehensweise verfolgen, bei der zugleich die nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen und die Armutsbekämpfung ange-strebt werden und bei der der Ausgleich zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern unter folgenden Gesichtspunkten gegeben ist:

1.

Die EU sollte lokale Fangmethoden entwickeln und eine Ausweitung der nachhaltigen und verantwortungsvollen Fischerei und Aquakultur unterstützen.

2.

Die EU sollte auch weiterhin Fischereiprodukte einführen und die Lebensmittelsicherheit und die Praktiken des Verbraucherschutzes stärken.

3.

Die EU sollte das Fischen europäischer Fischer in den Gewässern von Drittländern unterstützen, sofern dies unumstritten auch im Interesse dieser Länder und ihrer Bürger ist.

4.

Die Weltmeere sind globale Ressourcen, die der Weltgemeinschaft gehören. Die Europäische Union muss ihre eigenen Gewässer und die Gewässer der Drittstaaten vor Überfischung schützen.

3.3   Die Notwendigkeit eines Wandels: externe Faktoren, die die Agrar- und Lebensmittel-politik der EU beeinflussen

3.3.1   Der Rahmen der EU-Agrar- und Lebensmittelpolitik hat sich, wie oben geschildert, im Laufe der vergangenen 50 Jahre stetig entwickelt und ist das Ergebnis sowohl der eigenen Ziel-setzungen und Möglichkeiten als auch externer Faktoren. Zu den externen Faktoren, die zum Wandel und zur Weiterentwicklung der Politik in diesem Bereich beitrugen, zählen ins-besondere die EU-Handelspolitik (die derzeitige Doha-Runde der WTO-Handelsgespräche), die technische Entwicklung, die ökologischen Herausforderungen und die Trends auf den Lebensmittelmärkten.

3.3.2   Die multilateralen WTO-Handelsgespräche im Rahmen der Doha-Runde werden nunmehr seit bereits fast sieben Jahren geführt. In einigen Teilfragen konnten Lösungen in den Verhandlungen erreicht werden, doch sind die Fortschritte insgesamt sehr begrenzt. Die EU ist bei den vielfältigen Themen, die im Rahmen der Verhandlungen debattiert wurden, sehr aktiv gewesen. Einige Länder hatten kein Interesse an einem Fortschritt, der zu einem erfolgreichen Ergebnis führen würde. Die EU hat beträchtliche Zugeständnisse gemacht, beispiels-weise in den Bereichen Landwirtschaft und Industrie und in Fragen im Zusammenhang mit den Entwicklungsländern. Für ein funktionierendes internationales Handelssystem wäre es wichtig, eine Lösung auf dem Verhandlungsweg zu finden.

3.3.3   Die Landwirtschaft ist in den Verhandlungen stets ein heikles Thema, da die meisten Länder aus Gründen der grundlegenden Sicherheit ihre eigene Produktion schützen. Einige der ande-ren Verhandlungspartner sind wichtige Exportländer, die jedoch ihre Importmärkte nicht öffnen wollen. Die EU ist ein wichtiger Exporteur bestimmter Produkte, gleichzeitig aber auch der weltweit größte Lebensmittelimporteur. 2007 hat die Europäische Union Nahrungsmittelerzeugnisse im Wert von 54,6 Milliarden EUR ausgeführt, während gleichzeitig veredelte Erzeugnisse im Wert von 52,6 Milliarden EUR in die EU eingeführt wurden.

3.3.4   Sollte die Doha-Runde in naher Zukunft doch noch zu einem Abschluss gelangen, so wird dies die Situation der EU-Agrarmärkte ändern. Ausgehend von den derzeitigen Vorschlägen werden die Ausfuhrbeihilfen bis 2014 abgeschafft und die Schutzzölle werden um mehr als 50 % gekürzt. Für den EU-Agrarsektor könnte dies einen wirtschaftlichen Verlust in Höhe von mehr als 20 Milliarden EUR bedeuten. Der jüngste Anstieg der Agrarpreise wird sich auf die Handelsstruktur und die Folgen des endgültigen Ergebnisses auswirken.

3.3.5   Die EU hat eine Reihe wichtiger Fragen im Zusammenhang mit dem Agrarhandel angesprochen, z. B. Umwelt- und Sozialstandards und den Tierschutz (d. h. nichtkommerzielle Faktoren). Leider kamen diese Vorschläge überhaupt nicht voran. Die Produktionsbestimmungen und standards müssten harmonisiert werden, um im Welthandel gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen.

3.3.6   Die EU hat den ärmsten Entwicklungsländern in den Verhandlungen große Zugeständnisse gemacht und Einfuhrzölle abgeschafft, was die Chancen dieser Länder im Agrarhandel ver-bessern dürfte. Wichtig ist auch, dass die eigene landwirtschaftliche Produktion der Entwicklungsländer mit mehr Ressourcen, einer Vorzugsbehandlung und technischer Hilfe unterstützt wird. Die EU sollte auch Initiativen unterstützen, mit denen die eigene Erzeugung der Entwicklungsländer für die Heimatmärkte gefördert und den Akteuren ländlicher Gegenden dabei geholfen wird, sich zu organisieren. Die Handelsbedingungen der Entwicklungsländer sind sehr unterschiedlich, und dies sollte bei den neuen Handelsregeln berücksichtigt werden.

3.3.7   Die jüngsten tiefgreifenden Veränderungen des Zustands der internationalen Agrarmärkte werden sich auf den Lebensmittelhandel und seine Struktur auswirken. Sollte der Preisanstieg dauerhaft sein, so wird sich dies indirekt auf die neuen handelspolitischen Vereinbarungen und Bestimmungen auswirken. Die EU begann in der Tat, die mit zahlreichen Handelspart-nern abgeschlossenen bilateralen Handelsvereinbarungen zu verlängern, teilweise aufgrund der Schwierigkeiten in den multilateralen Gesprächen, teilweise jedoch auch aufgrund des raschen Wandels, der sich beispielsweise auf den Lebensmittel- und Energiemärkten vollzieht. Ziel muss es sein, zu einer Übereinkunft und einem Interventionsmechanismus zu gelangen, der zur Verminderung der Produktpreisschwankungen und zur Stabilisierung der Märkte genutzt werden könnte.

3.4   Klimawandel und technische Entwicklung

3.4.1   Umweltfragen

3.4.1.1   Der wichtigste Umweltfaktor sind die durch den Klimawandel verursachten Veränderungen und insbesondere die daraufhin ergriffenen Maßnahmen. Der Klimawandel verändert die globalen klimatischen Verhältnisse, denen die Produktion angepasst werden muss, was die Produktivität der Landwirtschaft verringert. Auch die von Seiten der Politik ergriffenen Maßnahmen haben eine indirekte Auswirkung: Die Maßnahmen zur Verlangsamung des Klimawandels machen Änderungen der Produktionsstrukturen und -methoden notwendig, was an sich die Produktivität senkt. Der Klimawandel beeinflusst nicht nur die Landwirtschaft, sondern in hohem Maße auch die Handlungsmöglichkeiten und die Ertragslage der Nahrungsmittelindustrie.

3.4.1.2   Besonders erwähnenswert ist auch die Erzeugung von Bioenergie aus landwirtschaftlichen Rohstoffen. Die Lebensmittelmärkte sind nunmehr eng mit den Energiemärkten verzahnt, da die Bioenergieerzeugung mit der Lebensmittelherstellung um die gleichen Rohstoffe konkurriert und da die heutige landwirtschaftliche Erzeugung stark von fossilen Brennstoffen Gebrauch macht. Aufgrund dieser Konkurrenz haben Preisentwicklungen auf den Energiemärkten und die politischen Maßnahmen zur Gestaltung dieser Märkte direkte Auswirkungen auf die Lebensmittelmärkte.

3.4.1.3   Die Verwendung lebensmitteltauglicher Rohstoffe als Ausgangsstoffe für die Bioenergieerzeugung erhöht die Nachfrage und damit den Preis von Landwirtschaftserzeugnissen.

3.4.1.4   Der Treibhauseffekt ist ein allumfassendes Umweltproblem, das viele andere Umweltfragen überschattet, unter denen jedoch die Frage der Artenvielfalt wegen ihres weltweiten Umfangs eine wichtige ist. In der EU gewinnt der Schutz eines vielfältigen genetischen Bestands zunehmend an Bedeutung für die Erhaltung geschützter Gebiete und ursprünglicher Pflanzen- und Tierarten als Teil der Nahrungsmittelerzeugung oder ergänzend dazu und dient dem Aufbau einer Genbank. Außerhalb Europas sind die Erfordernisse im Wesentlichen die gleichen, aber die Bandbreite von Arten kann um ein Vielfaches größer sein, und die wirtschaftlichen Chancen geringer.

3.4.1.5   Neben der Artenvielfalt sind übertragbare Tierkrankheiten und Zoonosen sowie nichtheimische Arten Probleme, die durch internationalen Handel, Transport und Zusammenarbeit immer mehr in den Vordergrund rücken. In der EU sind Schweinepest und BSE, Maul- und Klauenseuche und Salmonellen wahrscheinlich die bekanntesten Formen dieser Bedrohungen der Biosicherheit, während weltweit die Vogelgrippe eine Epidemie ist, die Anlass zur Sorge gibt. Jede Krankheit und Seuche hat ihren eigenen Verbreitungsweg — gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Nahrungsmittelerzeugung haben und die Verbraucher in ihrer Kaufentscheidung verunsichern können. Zudem üben sie langfristig eine nicht zu übersehende negative Wirkung auf die Versorgungssicherheit aus.

3.4.2   Neue Technologien

3.4.2.1   Die größere Nachfrage nach Agrarprodukten, die als Rohstoffe für die Erzeugung von Bioenergie eingesetzt werden, ist in erster Linie auf politische Maßnahmen im Bereich des Klimawandels, aber auch auf die technische Entwicklung zurückzuführen. Die Biotechnologie bietet zahlreiche neue Möglichkeiten für eine effizientere Herstellung und Weiterverarbei-tung von Produkten als Lebensmittel oder für Non-Food-Anwendungen. Im Bereich Energie zeichnet sich ab, dass die Erzeugung von Bioenergie aus Zellulose gegenüber der Energie aus Stärke in die Nähe der Marktreife gelangt.

3.4.2.2   Innovationen in der Biotechnologie haben zu einer beachtlichen Anzahl neuer Produktions-methoden geführt. Die Fortschritte der Biotechnologie werden als bedeutender Effizienzsprung in der Produktion gewertet. Diesen Prozess gilt es durch FuE-Anstrengungen zu stützen. Neben dem Nutzen dürfen allerdings auch die möglichen Risiken für Umwelt und Gesundheit keineswegs ausgeklammert werden. Das Problem ist, dass die potenziellen Nebenwirkungen biotechnologischer Anwendungen auf die Gesundheit von Tieren und Pflanzen sowie den Zustand der Ökosysteme nach wie vor unklar sind.

3.4.2.3   Der Mangel an Daten und Untersuchungen über die Nebenwirkungen moderner Biotechnologien für die Gesundheit und die Umwelt prägt die Wahrnehmung der Verbraucher im Hinblick auf die Einführung biotechnologischer Anwendungen. Die Ansichten und Sorgen der Verbraucher gegenüber den Entwicklungsanstrengungen müssen ernst genommen und die in Verkehr gebrachten Erzeugnisse entsprechend gekennzeichnet werden.

3.5   Preisentwicklung auf den Lebensmittelmärkten

3.5.1   In den letzten zwei Jahren sind die Preise für landwirtschaftliche Grunderzeugnisse und verschiedene wichtige Grundnahrungsmittel drastisch gestiegen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, u. a. die gestiegene Nachfrage aufgrund des Bevölkerungswachstums, höhere Energiepreise, eine weltweite Verringerung der Bestände und das dadurch ausgelöste investitions-orientierte und spekulative Interesse an landwirtschaftlichen Grundstoffen sowie die klimatischen Bedingungen, und hier sowohl örtlich begrenzte Extremwetterlagen als auch die Gefahr eines eher dauerhaften Wandels.

3.5.2   Es ist schwierig, auf der Grundlage von Prognosen zu sagen, wie sich die Märkte in Zukunft entwickeln werden. Der Preisrückgang der letzten Monate liefert keinen Anhaltspunkt dafür, auf welchem Niveau sich die Preise letztlich einpendeln werden. Jedenfalls haben die Preisbewegungen eine beträchtliche Wirkung auf die Entwicklungsländer, und auch in den ent-wickelten Ländern, einschließlich der EU-Staaten, sind die Effekte zu spüren.

3.5.3   In der EU haben höhere Weltmarktpreise den Eindruck entstehen lassen, dass es in der Agrar- und Ernährungspolitik etwas größere Spielräume als zuvor gibt. Die Lebensmittelkäu-fer nehmen den Anstieg der Nahrungsmittelpreise als sehr rasch wahr, und tatsächlich hat dieser in den EU-Staaten schon Auswirkungen auf die Gesamtinflation gehabt. Ein ähnliches, wenn auch dramatischeres Szenario ist auch in den Entwicklungsländern zu beobachten; aus vielen Ländern wurde in jüngster Zeit über Unruhen berichtet, die mit der Verfügbarkeit und den Preisen von Lebensmitteln zusammenhängen. Andererseits hat sich gezeigt, dass der Preisanstieg auch eine gute Seite für einige Produktionsbereiche hat — zum ersten Mal seit Jahren sind lokale Erzeuger heute oftmals in der Lage, mit Lebensmitteln zu konkurrieren, die zu Weltmarktpreisen eingeführt werden. Langfristig könnte dies zu einem Anstieg der Nahrungsmittelproduktion führen und auch der örtlichen Bevölkerung Produktionsmöglichkeiten verschaffen. Dies kann nur gelingen, wenn das Wirtschaftswachstum ausreicht, um den Verbrauchern genügend Kaufkraft für den Lebensmitteleinkauf zu geben.

3.5.4   Der Anstieg der Weltmarktpreise für Nahrungsmittel dürfte sich günstig auf das Volumen der Nahrungsmittelerzeugung auswirken. Der Preisanstieg könnte aber den Hunger auf der Welt noch verschlimmern, weil sich die Armen grundlegende Nahrungsmittelerzeugnisse immer weniger leisten können und insbesondere, weil ein immer größerer Anteil der Ernte für Non-Food-Erzeugnisse verwendet wird. Auf jeden Fall hat die neue Situation deutliche Folgen für die Einkommensverteilung in den einzelnen Ländern und ist daher ein politisch heikles Thema. Bisher ist auch unklar, welche Haltung die großen Weltorganisationen zu den künftigen Entwicklungen einnehmen.

3.5.5   Es geht hier durchaus nicht einfach nur um Märkte für Enderzeugnisse, denn wenn die Preise für Enderzeugnisse steigen, besteht auch die Tendenz einer Verteuerung der Produktionseinsatzgüter und umgekehrt. Das zeigt sich auch in der gegenwärtigen Situation: Die Preise für Energie und Dünger steigen unaufhörlich, so dass es den Landwirten nicht unbedingt besser geht als früher. Wenn es der Lebensmittelindustrie nicht gelingt, ihren eigenen relativen Anteil am Preis der Enderzeugnisse beizubehalten, wird auch sie unter den gestiegenen Rohstoffpreisen leiden.

3.5.6   Der Preisanstieg spiegelt das neue Marktgleichgewicht wider, das durch viele verschiedene Faktoren entstanden ist. Es veranschaulicht praktisch die Fähigkeit der Weltnahrungsmittelindustrie, die globale Nahrungsmittelversorgung — die globale Ernährungssicherheit — zu gewährleisten und die Menschen bedarfsgerecht zu ernähren. In der Vergangenheit wurde oft behauptet, dass der Hunger in der Welt nicht das Ergebnis mangelnder Erzeugungsmöglichkeiten sei, sondern vielmehr die Folge der nationalen und internationalen Politik. Diese Schlussfolgerung wird man in naher Zukunft überdenken müssen: Bewirken das zunehmende Bevölkerungswachstum, der Klimawandel und die Verwendung landwirtschaftlicher Erzeugnisse für Non-Food-Zwecke (vor dem Hintergrund schrumpfender Vorräte an fossiler Energie) eine Veränderung der Situation dergestalt, dass in Zukunft die Ursache von Nahrungsmittelknappheit nicht mehr einfach in der Politik zu suchen ist, sondern zunehmend in Begrenzungen der insgesamt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Nahrungsmittelerzeugung?

3.5.7   Die Frage der Preisentwicklung für Grundnahrungsmittel kann nur erörtert werden, wenn man sie sorgfältig in ihrer ganzen Komplexität angeht. Dazu ist es unerlässlich, Transparenz in die Preisbildung bei den einzelnen Gliedern der Wertschöpfungskette der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie zu bringen. In dieser Hinsicht ist es Sache der Regierungen, für eine bessere Rückverfolgbarkeit der Preise zu sorgen, indem sie durch geeignete Kontrollen missbräuchliche Praktiken einiger Wirtschaftsbeteiligter aufdecken und gleichzeitig eine intensive Verbraucheraufklärung betreiben, damit der Verbraucher sachlich richtig und umfassend informiert ist.

3.6   Qualität, Sicherheit und Nährwert der Lebensmittel

3.6.1   Neben der Quantität der Lebensmittelerzeugung sind auch die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel, ihr Nährwert sowie die Verbraucherpräferenzen wichtige Faktoren auf den Lebensmittelmärkten. Die Lebensmittelsicherheit wird durch Standards gewährleistet, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) überwacht werden.

3.6.2   Ernährung ist ein komplexes Geschehen, bei dem sich die Verbraucher in ihren Wahlentscheidungen nicht nur von gesundheitlichen Aspekten leiten lassen, sondern auch von kulturell geprägten Verhaltensweisen. Über die Folgen von Nahrungsmitteln auf die Gesundheit und darüber, wer für sie verantwortlich ist, wird fortlaufend diskutiert, wobei die Marktakteure allerdings zu keinem einheitlichen Standpunkt gelangen können.

3.6.3   Die Verbraucherpräferenzen gründen auf persönlichen Werten und Anschauungen (z. B. ökologisch erzeugte Lebensmittel) und auf kulturellen Faktoren, die nicht vergleichbar sind. Den-noch darf ihr wichtiger Einfluss auf die Nahrungsmittelmärkte nicht unterschätzt werden.

3.7   Position und Rolle der Verbraucher

3.7.1   Verantwortungsvolle Verbrauchsgewohnheiten und ein nachhaltiger Konsum, einschließlich Recycling, müssen allgemeine Verbreitung finden. Dies gilt sowohl für die Lieferkette als auch die Verbraucher. Dieses Ziel kann durch eine umfassende gesellschaftliche Debatte erreicht werden.

3.7.2   Für die europäischen Verbraucher ist es etwas Selbstverständliches, dass sie Nahrungsmittel von guter Qualität und zu angemessenen Preisen erhalten. Neben dem Preis sind auch Auswahlfreiheit und Angebotsvielfalt wichtige Erwägungen für die Verbraucher. Generell ist niemand bereit, in Sachen Lebensmittelsicherheit Kompromisse einzugehen.

3.7.3   In der Praxis machen viele Verbraucher jedoch Abstriche bei der Sicherheit von Nahrungs-mittelerzeugnissen und ihrer kulturellen Bedeutung. Außerdem sind vielen Verbrauchern die speziellen Eigenschaften von Nahrungsmittelerzeugnissen wichtig; so haben z. B. ökologische Erzeugung und GMO-haltige Ausgangsstoffe Einfluss auf den Verkaufspreis der Erzeugnisse.

3.7.4   Die Qualitätsproblematik zeigt, wie wichtig Information ist: Die Risiken und Vorzüge der einzelnen Erzeugungsverfahren und Einsatzgüter müssen den Verbrauchern auf eine Weise erklärt werden, die eine klare Risikoabwägung hinsichtlich der Produkte erlaubt. Der auf Schwarz-Weiß-Malerei beruhende Diskurs muss überwunden werden, so dass sich die Verbraucher selbst ein ausgewogenes Bild über die Vor- und Nachteile des jeweiligen Produkts machen können.

3.7.5   Für den Verbraucher ist es entscheidend zu wissen, wonach sich die Qualität, anhand derer er seine Kaufentscheidung trifft, bemisst. Dass sich der Verbraucher leicht über die Qualität eines Erzeugnisses informieren kann, ist eine Vorbedingung für den Aufbau von Vertrauen. Vielfach wurde von Verbraucherseite u. a. die Rückkehr zu den Herkunftslandbezeichnungen auch bei europäischen Lebensmitteln gefordert. Europäische Erzeugnisse haben einen guten Stand auf den europäischen Märkten, weil die Verbraucher gut informiert und offen sind. Eine aufmerksame Verbraucherpolitik ist daher ein Schlüsselfaktor für die künftige Entwicklung der Nahrungsmittelerzeugung.

3.8   Entwicklungspolitik und Nahrungsmittelerzeugung

3.8.1   Zahlreiche politische Entscheidungen zur Ausmerzung des Problems des Hungers in der Welt wurden in internationalen Gremien getroffen, zuletzt in Verbindung mit den Millenniums-Entwicklungszielen. Die praktischen Ergebnisse nehmen sich bisher eher bescheiden aus. Die Zahl der Hungernden nimmt weiter zu, und immer noch gibt es weltweit eine Milliarde Menschen, die hungern müssen. Die Zunahme der landwirtschaftlichen Erzeugung reichte nicht, um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten, so dass es nicht möglich war, einen wirkungsvollen Weg für den Umgang mit der neuen Situation in der Nahrungsmittelerzeugung auf globaler Ebene zu finden. Die EU hat an diesen Arbeiten sowohl in internationalen Organisationen als auch bilateral mit Entwicklungsländern engagiert mitgewirkt. Sie hat sich um eine aktive Rolle sowohl in der Entwicklungszusammenarbeit als auch in der Handelspolitik bemüht, um die Nahrungsmittelerzeugung in den Entwicklungsländern zu verbessern.

3.8.2   Die Ernährungssicherheit muss auf der internationalen entwicklungspolitischen Agenda ganz oben stehen, damit die Armut verringert werden kann. Die Entwicklung der Nahrungsmittelerzeugung muss ein zentrales Element der innerstaatlichen Politik in den Entwicklungsländern sein. Jedes Entwicklungsland muss eine eigene nationale Agrarpolitik verfolgen, die die Grundvoraussetzungen für die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln schafft.

3.8.3   Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es angemessener Ressourcen für Ausbildung, Beratung und Forschung in den Entwicklungsländern. Die Völkergemeinschaft und die EU sollten entschiedenere Schritte unternehmen, um diese Ziele in ihren entwicklungspolitischen Programmen zu berücksichtigen.

3.8.4   Die Bauern in den Entwicklungsländern sollten durch die Förderung von Erzeugerorganisationen darin unterstützt werden, die heimische Erzeugung, Vermarktung und Verarbeitung zu verbessern und ihre eigene Marktstellung zu stärken. Als Teil der Bemühungen zur Verbesserung der Produktionsbedingungen in den Entwicklungsländern muss das Risikomanagement verstärkt werden. Neben der Produktion sind auch soziale Fragen, wie der Schulbesuch der Kinder und die Ermunterung hierzu einzubeziehen. In gleicher Weise müssen auch die Vereinten Nationen ihre eigenen Maßnahmen zur Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung effizienter gestalten.

3.8.5   Im Rahmen der Handelspolitik muss es möglich sein, den Entwicklungsländern eine echte Chance zu garantieren, ihr eigenes System der „grünen Erzeugung“ zu haben. Dazu muss den Entwicklungsländern geholfen werden, das Know-how ihrer Verwaltung im Umgang mit Handelsregeln und -systemen zu verbessern. Die EU könnte sich noch mehr dafür engagieren, den Qualifikationsstand in den Entwicklungsländern anzuheben. Eine klarere Gliederung der Entwicklungsländer in am wenigsten entwickelte Länder (LDC) und starke Exportländer würde die Position der ärmsten Länder verbessern. Die EU hat sich in den WTO-Verhandlun-gen für die Förderung dieser Ziele eingesetzt.

4.   Mögliche Handlungsoptionen für die EU und begrenzende Faktoren

4.1   In den letzten Jahrzehnten haben sich das Augenmerk der EU und die Debatte über Nahrungsmittel von der Überschussproduktion verlagert; in den Vordergrund getreten sind Umwelt- und Tierschutzbelange, später auch die Gesundheitsauswirkungen auf Mensch und Tier sowie die öffentliche Gesundheit. In einer nicht allzu fernen Zukunft dürfte es eine Rückbesinnung auf die Ursprünge geben: In Europa wird sich die Diskussion um die Verfügbarkeit der Nahrungsmittel und ihren Preis drehen, ein Trend, der sich bereits in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat.

4.2   Gleichzeitig ist klar, dass die EU keine Insel ist: In den Entwicklungsländern wird das große Problem nach wie vor die Armut und die in ihrem Gefolge auftretenden Probleme sein — der Hunger auf der Welt wird kurzfristig nicht verschwinden. Nach wie vor kommt der EU eine Verantwortung bei der Armutsbekämpfung zu.

4.3   Die grundsätzliche Sorge in der EU — und auch in der Nahrungsmittelwirtschaft — gilt der Verfügbarkeit der Energie. Die Nahrungsmittelwirtschaft in ihrer jetzigen Form basiert auf dem großzügigen Einsatz von Energie, was wiederum die Sicherung der Energieverfügbarkeit erfordert. Der zweite bedeutende Begrenzungsfaktor ist, insbesondere global gesehen, das Wasser. Beider Verfügbarkeit muss sichergestellt werden.

4.4   Es gibt eine Reihe von Handlungsoptionen. Die EU könnte ihre landwirtschaftliche Erzeugung und ihre Fischerei intensivieren, müsste dabei aber zugleich Umweltfragen, Tierschutz und die öffentliche Gesundheit im Auge behalten. Bei der Intensivierung ihrer Erzeugung kann die EU die Größe der Betriebe und der Erzeugungsanlagen steigern, was jedoch wie-derum nach Maßgabe des Umwelt- und Tierschutzes geschehen muss; vergessen werden darf dabei auch nicht, dass die Erzeuger mit der Situation klarkommen müssen und keine Entvölkerung der ländlichen Gegenden eintreten darf.

4.5   Die EU kann die Versorgungssicherheit durch Lagerhaltung und u. a. durch die Diversifizierung ihrer Energieversorgung sicherstellen. Die Erzeugung von Bioenergie muss erhöht werden, allerdings nicht auf Kosten des Nahrungsmittelangebots.

4.6   Die EU muss sich auch weiterhin von humanistischen Prinzipien leiten lassen und ihrer Verantwortung für die Fragen der Zuwanderung und der Probleme der Entwicklungsländer gerecht werden; zugleich muss sie darauf bedacht sein, Möglichkeiten für Konflikte in ihrer Nachbarschaft einzudämmen, indem nach Sicherung der Lebensmöglichkeiten der Menschen in ihren Heimatgebieten gestrebt wird, sowohl inner- als auch außerhalb der EU.

Die EU sollte die Erzeuger in den Entwicklungsländern und deren Organisierung in der Weise unterstützen, dass die Erzeuger gemeinsam und voneinander lernen, wie sie die Versorgungssicherheit ihrer Gebiete besser sicherstellen können. Die europäischen Landwirte sollten sich an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Bauer zu Bauer beteiligen. Die EU hat im Juli 2008 die Grundsatzentscheidung getroffen, aus dem Agrarhaushalt eine Milliarde Euro für die Verbesserung der Bedingungen für die Tätigkeit der Landwirte in den Entwicklungsländern bereitzustellen.

4.7   Wichtig ist darüber hinaus die Entwicklung global verantwortungsvoller Verbrauchs- und Ernährungsgewohnheiten: Bei einer vornehmlich vegetarischen Ernährung kann die Menschheit ihren Nahrungsmittelbedarf mit einen bedeutend geringeren Energieeinsatz decken als bei proteinreicher Kost. Auf der Erzeugerseite kommt es auf eine kontinuierliche Verbesserung der Produktion und eine Stärkung der wissenschaftlichen Erkenntnislage an. In all diesen Fragen muss die EU Initiative zeigen, und zwar sowohl bei ihren eigenen Maßnahmen wie auf der internationalen Ebene.

5.   Versorgungssicherheit — das Fundament der Nahrungsmittelversorgung der EU

5.1   Die Versorgungssicherheit ist ein zentrales Mittel der Risikoeindämmung, durch das die Nahrungs- und Arzneimittelversorgung in Ausnahmesituationen sichergestellt wird. Die Mitgliedstaaten der EU verfügen über eigene, sehr unterschiedliche Systeme der Versorgungssicher-heit. Im Zuge der EU-Mitgliedschaft tritt im Allgemeinen eine Schwächung der nationalen Versorgungssicherheit ein, da die EU davon ausgeht, dass sie die Gesamtverantwortung für die Versorgungssicherheit in Krisenfällen übernehmen kann. Der EU-Binnenmarkt bietet eine gute Grundlage für dieses Ziel. Die Krisen der letzen Jahre waren ihrem Wesen nach qualitativer Art, bei denen kein Mangel an Grundnahrungsmitteln eintrat.

5.2   Ein Kernziel der Versorgungssicherheit besteht in der Gewährleistung der Produktion von Rohstoffen für Nahrungsmittel. Im Fall einer Krise kann die Verteilung der Nahrungsmittel gesteuert und kontrolliert werden. Ausschlaggebend dafür ist die Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Handel, Industrie, Behörden und sonstigen Akteuren.

5.3   In ausgedehnten Krisensituationen tritt die Verfügbarkeit landwirtschaftlicher Einsatzgüter in den Vordergrund. Dies sind zum Beispiel Düngemittel, Energie wie z. B. Öl, Pflanzenschutzmittel, Saatgut, Tierarzneimittel, Wasser usw. Die Behörden müssen von Gesetz wegen die Verfügbarkeit von Einsatzgütern in Ausnahmesituationen gewährleisten. Das erfordert eine klare Arbeitsteilung und Planung zwischen den verschiedenen Beteiligten. Die nationalen Systeme und der Grad der Bereitschaft in der Versorgungssicherheit stellen sich unterschied-lich dar. Die EU ist dabei, neue Systeme aufzubauen, insbesondere weil das Spektrum der internationalen Risiken immer breiter wird.

5.4   Die Versorgungssicherheit im Nahrungsmittelsektor der EU erfordert Mechanismen und Systeme, die stärker als die vorhandenen sind, damit sich die Union auf neue mögliche Risiken vorbereiten kann. Ausreichend große und EU-weite Systeme zur Lagerhaltung sind der Grundpfeiler der Versorgungssicherheit. Stabile und funktionierende Märkte für Landwirt-schaftserzeugnisse in den Mitgliedstaaten und der EU-Binnenmarkt schaffen die Grundlage für die Versorgungssicherheit. In Krisenfällen sind die Verlässlichkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit der einzelnen Beteiligten der Schlüssel für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit.

Brüssel, den 22. Oktober 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  In Zusammenhang mit der Erarbeitung dieser Stellungnahme hat der EWSA am 22. September 2008 eine Anhörung zum Thema „Wie wird es mit den Agrar- und Nahrungsmittelpreisen weitergehen?“ durchgeführt.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Ausschusses

Die folgenden Änderungsanträge, die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt:

Ziffer 3.4.2.2

Wie folgt ändern:

„Innovationen in der Biotechnologie haben zu einer beachtlichen Anzahl neuer Produktionsmethoden geführt. Die Fortschritte der Biotechnologie werden von einigen Saatgut-und Chemikalienherstellern als bedeutender Effizienzsprung in der Produktion gewertet. Diesen Prozess gilt es durch FuE Anstrengungen zu stützen. Neben dem Nutzen dürfen allerdings auch die möglichen Risiken für Umwelt und Gesundheit keineswegs ausgeklammert werden, sondern sie müssen ernst genommen werden, und es sind ausreichende Mittel für ihre Erforschung bereitzustellen . Das Problem ist, dass die potenziellen Nebenwirkungen biotechnologischer Anwendungen auf die Gesundheit von Tieren und Pflanzen sowie den Zustand der Ökosysteme nicht lückenlos bekannt nach wie vor unklar sind.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 41, Nein-Stimmen: 49, Stimmenthaltungen: 18

Ziffer 1.8

Wie folgt ändern:

„Die EU muss ihre Förderanstrengungen im Bereich der neuen an Nachhaltigkeitskriterien angepasster Technologien einschließlich der Biotechnologie erhöhen, damit ihre Anwendungen zum praktischen Einsatz gelangen können. Was die Biotechnologie angeht, schließt sich der EWSA der Position des von der Weltbank, der FAO und anderen öffentlichen Institutionen eingerichteten Weltagrarrates an, der im April 2008 festgestellt hat, dass die Welternährungsprobleme, die ja außerhalb der EU auftreten, nicht durch Gen- und Biotechnologien und eine weitere Chemisierung der Landwirtschaft, sondern primär durch bäuerliche Verfahren und den ökologischen Landbau gelöst werden müssen.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 39, Nein-Stimmen: 47, Stimmenthaltungen: 19

Ziffern 3.4.2.1 und 3.4.2.2

Wie folgt ändern:

„3.4.2.1

Die größere Nachfrage nach Agrarprodukten, die als Rohstoffe für die Erzeugung von Bioenergie eingesetzt werden, ist in erster Linie auf politische Maßnahmen im Bereich des Klimawandels, aber auch auf die technische Entwicklung einer wachsenden Weltbevölkerung und veränderter Ernährungsgewohnheiten (wie höherer Fleischkonsum) zurückzuführen. Die Biotechnologie bietet zahlreiche neue Möglichkeiten für eine effizientere Herstellung und Weiterverarbeitung von Produkten als Lebensmittel oder für Non-Food-Anwendungen. Im Bereich Energie zeichnet sich ab, dass die Erzeugung von Bioenergie aus Zellulose gegen-über der Energie aus Stärke in die Nähe der Marktreife gelangt.

3.4.2.2

Innovationen bei der Entwicklung umwelt- und sozialverträglicher Methoden zur Effektivierung von Züchtung (wie smart breeding) und Anbau sollten weiter in der Biotechnologie haben zu einer beachtlichen Anzahl neuer Produktionsmethoden geführt. Die Fortschritte der Biotechnologie werden als bedeutender Effizienzsprung in der Produktion gewertet. Diesen Prozess gilt es durch FuE-Anstrengungen zu gefördert und ge stütz t en werden . Neben dem Nutzen dürfen allerdings auch die möglichen Risiken für Umwelt und Gesundheit keineswegs ausgeklammert werden . Der EWSA teilt die Position des Weltagrarrates, dass die Ernährungsprobleme, die sich global, allerdings außerhalb der EU weiter verschärft haben, nur mit an die lokale Situation angepassten Methoden, d. h. mit bäuerlichen Verfahren, dem ökologi-schen Landbau etc., und ausdrücklich nicht mit der Gentechnik, gelöst werden müssen.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 34, Nein-Stimmen: 53, Stimmenthaltungen: 21


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