EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52008AE1664

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Konsultation zum Entwurf des überarbeiteten Leitfadens der Kommission zur Folgenabschätzung

ABl. C 100 vom 30.4.2009, p. 28–32 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

30.4.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 100/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Konsultation zum Entwurf des überarbeiteten Leitfadens der Kommission zur Folgenabschätzung“

2009/C 100/05

Die Europäische Kommission beschloss am 29. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Konsultation zum Entwurf des überarbeiteten Leitfadens der Kommission zur Folgenabschätzung“.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 8. Juli 2008 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 448. Plenartagung am 21.—23. Oktober 2008 (Sitzung vom 22. Oktober 2008) Herrn RETUREAU zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 83 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1   In ihrer „Jährlichen Strategieplanung für 2008“ (1) betont die Kommission: „Die Vereinfachung und Modernisierung des ordnungspolitischen Umfelds für Unternehmen und Bürger in der EU zählt ... zu den vorrangigen Anliegen der Kommission. 2007 wird das System der Folgenabschätzung verbessert, ein Aktionsprogramm zur Beseitigung unnötigen Verwaltungsauf-wands aufgrund gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Vorschriften eingeleitet und das aktualisierte Vereinfachungsprogramm umgesetzt“; zudem werde die Kontrolle der Anwen-dung des Gemeinschaftsrechts fortgeführt (2). „Die Realisierung dieser Maßnahmen bildet das Kernziel für 2008.“

1.2   Diese Strategie hat sich im Arbeitsprogramm niedergeschlagen, wobei für jede Maßnahme und jeden Vorschlag für ein Programm ein Fahrplan mit einer Reihe präziser Fragen erstellt wird, auf die zumeist kurze Antworten gegeben werden; im Fahrplan spiegeln sich jeweils die ersten Ergebnisse der Folgenabschätzung bzw. der vorläufigen Folgenabschätzung wider; er enthält zudem eine Vorausschätzung der Kosten der einzelnen Maßnahme bzw. des Vorschlags.

1.3   Zu dem System der Folgenabschätzung hat die Kommission den Entwurf eines internen Leitfadens erstellt — diese Vorlage wird in dieser Stellungnahme geprüft (3); 2007 war bereits eine externe Bewertung dieses 2002 eingeführten und 2005 verbesserten Systems der Folgenabschätzung erfolgt, wobei die Erfahrungen und Lehren aus der Tätigkeit des Ausschusses für Folgenabschätzung (IAC) eingeflossen waren. Die Kommission wünscht eine Verbesserung der allgemeinen Methodik: Die Methodik sollte genau festgelegt, vorhersehbar, transparent und für den Gemeinschaftshaushalt bezifferbar sein, denn bis zum Abschluss einer Folgenabschätzung vergehen je nach der Komplexität der Sachlage fünf bis 13 Monate, und es sind Ressourcen und Mittel erforderlich, die die Kommission den Dienststellen zur Verfügung stellen will, damit die Ziele des Programms „Bessere Rechtsetzung“ in Bezug auf die Folgenabschätzungen erreicht werden.

1.4   Mit dem überarbeiteten Leitfaden sollen allgemeine Leitlinien vorgegeben werden für die Durchführung der Folgenabschätzungen — von den vorläufigen Folgenabschätzungen bis hin zur Formulierung der Optionen, die der Kommission dann letztendlich von der zuständigen Generaldirektion vorgeschlagen werden. Das Kollegium der Kommissionsmitglieder kann somit sein Initiativrecht bei der Rechtsetzung in Kenntnis der Sachlage wahrnehmen bzw. eine alternative Maßnahme zur Rechtsetzung vorschlagen oder aber in der Phase der vorläufigen Folgenabschätzung beschließen, nicht tätig zu werden bzw. eine Mitteilung zu erstellen, die naturgemäß keinen normativen Charakter hat.

1.5   Jede Folgenabschätzung ist einzigartig, spezifisch und gekennzeichnet durch die jeweils zu erreichenden, im jährlichen Arbeitsprogramm der Kommission vorgegebenen Ziele. In den Leitlinien sind somit ein Ablauf, Verfahren und Arbeitsweisen beschrieben, die ausreichend flexibel sind, um je nach Zuständigkeit der Gemeinschaft und Anforderungen seitens der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen der Verträge und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Subsidiaritätsprinzips an die unterschiedlichen Situationen und Probleme angepasst zu werden.

1.6   Die Folgenabschätzungen können in folgenden Amtssprachen der Gemeinschaften erstellt werden: Deutsch, Englisch und Französisch. In der Praxis werden jedoch fast alle Folgenab-schätzungen in englischer Sprache verfasst, weil sich dies für die interne Kommunikation innerhalb der Generaldirektionen und zwischen ihnen sowie für die externe Kommunikation insbesondere in der Phase der Konsultation mit den betroffenen Parteien als praktisch erweist. Jeder im jährlichen Arbeitsprogramm vorgesehenen Rechtsetzungsinitiative werden systema-tisch Anhänge mit einer vollständigen Folgenabschätzung sowie einer Zusammenfassung unter der Dokumentennummer [SEC(Jahr), Nummer], in englischer Sprache beigefügt. Der Rechtsetzungsvorschlag wird somit untermauert durch die Folgenabschätzung und durch Erläuterungen zu der von der Kommission gewählten Option.

2.   Allgemeine Bemerkungen des EWSA

2.1   Mit jedem Rechtsetzungsvorschlag geht ein Verfahren der vorläufigen Bewertung einher, wobei zu bestimmten Zeitpunkten bzw. in bestimmten Phasen unter den verschiedensten Gesichtspunkten geprüft werden kann, ob eine entsprechende Notwendigkeit besteht und welche internen wie auch externen Folgen sich ergeben.

2.2   In der Legistik als der (angewandten) Wissenschaft der Rechtsetzung mit dem Ziel, die besten Modalitäten für die Erarbeitung, Abfassung, Bekanntmachung und Anwendung der Rechts-normen zu ermitteln (4), werden für den Gesetzgeber auf nationaler Ebene nicht dieselben hohen Maßstäbe wie für die Rechtsetzungsinstanzen auf Gemeinschaftsebene angelegt. Diese sind in der Tat weiter entfernt von den Bürgern und offenbar nicht immer so gut mit deren Anliegen und Sorgen vertraut. Der Gemeinschaftsgesetzgeber muss daher sämtliche Initiativen deutlich darlegen und die Information und die Mitwirkung über verschiedene Kanäle fördern, um die partizipative Dimension der Unionsbürgerschaft zu stärken, die untrennbar mit der staatsbürgerlichen Dimension verbunden ist. Vor diesem besonderen politischen Hintergrund sind die Folgenabschätzungen ein wichtiger Bestandteil der normativen Arbeit und der Maßnahmen der Kommission.

2.3   Aus der Reihe der zahlreichen theoretischen und praktischen Fragen zur Rechtsetzungstätigkeit in der Europäischen Union, deren eingehende Erörterung und Diskussion den Rahmen einer solchen Stellungnahme natürlich sprengen würde, sollte zumindest der Aspekt hervorgehoben werden, dass die Rechtsetzungsinstanzen in einem Umfeld fester „Vorgaben“ tätig sind: die Verträge zur Gründung der Gemeinschaften, die allgemeinen Grundsätze des Rechts in den wirtschaftlich entwickelten, demokratischen Gesellschaften, die Vertragspartner sind (oder es noch werden sollen), einschließlich deren Verfassungsgrundsätze und der Auslegungen des Primärrechts und des abgeleiteten Rechts durch die Gerichte (5).

2.4   Alle Völker der Union streben heutzutage nach Demokratie, nach friedlicher Beilegung von Konflikten, nach mehr Zusammenarbeit und Solidarität, der Förderung der individuellen und kollektiven Rechte, nach einer realistischen und qualitativ hochwertigen Rechtsetzung, die klar im Einklang steht mit den Verträgen und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die in allen Mitgliedstaaten gelten. Die politischen Entscheidungen sowie die Rechtsetzungsakte sind Teil eines größeren Rahmens, der durchaus als „Verfassungsrahmen“ zu bezeichnen ist, denn in ihm werden der demokratische Charakter der politischen Institutionen und die Grenzen der Zuständigkeiten der mit politischen, legislativen und administrativen Aufgaben betrauten Institutionen und der Gerichte festgelegt. In diesem „Verfassungsrahmen“, in dem durch Rechtsnormen die Politikfelder mit ausschließlicher Zuständigkeit der Gemeinschaft von denen unterschieden werden, in denen die Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten geteilt wird, und in dem die von einer rechtsstaatlichen Regierung bei der Vorlage von Gesetzen zu befolgenden Verfahren festgelegt werden, in diesem Verfassungsrahmen also muss es möglich sein, die Entwicklung der Rechtsvorschriften zu bewerten und deren Wirksamkeit wie auch die wirtschaftliche Verwendung der Finanzmittel und der sonstigen bereitgestellten Ressourcen zu kontrollieren. Dieser Rahmen muss zudem erlauben, die Rechtsvorschriften regelmäßig auf die Notwendigkeit eventueller Anpassungen bzw. Änderungen hin neu zu bewerten bzw. um festzustellen, ob die vorgegebenen Ziele erreicht wurden.

2.5   Aus dieser simplen Aufzählung ergibt sich, ohne dass dies schon gebührend gewürdigt wurde, die Komplexität der Zuständigkeiten, der Verantwortung und der Aufgaben, die den einzelnen Akteuren der Union zugewiesen wurden.

2.6   Die Folgenabschätzung wurde von Anfang an als ein Instrument konzipiert, mit dem die Qualität und die Kohärenz der legislativen Verfahren zur Gestaltung der Politik in den einzelnen Bereichen verbessert werden sollten, um so einen Beitrag zu einem wirksamen und leistungsfähigen ordnungspolitischen Umfeld sowie zu kohärenten Maßnahmen zur nachhaltigen Ent-wicklung zu leisten. Sie stärkt die verantwortungsvolle Politikgestaltung, ohne jedoch an deren Stelle zu treten. Sie muss es ermöglichen, voraussichtliche positive wie negative Wirkungen eines Rechtsetzungsvorhabens festzustellen und einen Konsens bei der Verwirklichung miteinander konkurrierender Ziele zu erreichen. In der Praxis wurde die Folgenabschätzung zunächst für die größten Vorhaben eingeführt, und in der Folge auch für alle Vorhaben aus der Jährlichen Strategieplanung und aus dem Arbeitsprogramm der Kommission. Die wichtigsten Aspekte der Methodik für die Folgenabschätzungen wurden im Anhang zu der Mitteilung vom Juni 2002 erläutert, und die technischen Modalitäten der Umsetzung wurden davon getrennt im Herbst 2002 veröffentlicht (6). Eine Überarbeitung des Leitfadens erfolgte 2005, und dann fortlaufend seit Ende 2007 bis zu dem vorliegenden Entwurf vom Mai 2008.

2.7   Bereits seit den ersten Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (nachstehend „der EWSA“) die einschlägigen Vorschläge der Kommission unterstützt. Er unterstützt auch allgemein Vorschläge zur Verbesserung der Durchführung und Strukturierung der Folgenabschätzungen, denn diese haben bei der Vorbe-reitung der Rechtsetzungsvorhaben stets an Bedeutung gewonnen, wie auch die Vorschläge für sonstige Verfahren wie Kodifizierung, Vereinfachung (soweit möglich) des Wortlauts und insbesondere Verbesserung der Qualität und der Klarheit der verwendeten Rechtsbegriffe. Der Ausschuss stellt zudem fest, dass die Qualität der Übersetzungen der Rechtstexte und die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts entscheidend sind für eine verbesserte Harmonisierung und Einhaltung der Rechtsnormen.

2.8   Es werden drei wesentliche Kategorien von Auswirkungen bewertet:

soziale Auswirkungen;

wirtschaftliche Auswirkungen;

ökologische Auswirkungen.

Der EWSA stellt fest, dass unter die Kategorie „soziale Auswirkungen“ eine Vielzahl von Fragen fällt, die besser in zwei verschiedenen Kategorien zu behandeln wären: zum einen die sozialen Auswirkungen im eigentlichen Sinne und zum anderen die Auswirkungen auf die Gesellschaft (Kampf gegen den Terrorismus, Sicherheit, Justiz usw.). Die sozialen Fragen im engeren Sinne stehen im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Fragen und betreffen die Sozialpartner, die Tarifverhandlungen sowie die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, während es bei den gesellschaftlichen Fragen um andere Bereiche (Justiz, Polizei usw.) mit mehr politischen Akteuren geht, die die Gesellschaft als Ganzes betreffen.

2.9   Bei der Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen stehen die Berücksichtigung der Kosten-Nutzen-Analysen und der Wettbewerbssituation im Vordergrund. Wegen der Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung möchte der Ausschuss jedoch unterstreichen, dass die Zahlenangaben über die qualitativen Auswirkungen wie auch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Berechnung in einem langfristigen Rahmen zu bewerten sind. Zum Wettbewerb weist er darauf hin, dass dieser ein Mittel und kein Zweck an sich ist. Zu nennen sind auch die Zwänge der Industriepolitik, das Entstehen von Wirtschafts- und Finanzakteuren mit internationaler Dimension, die in einem Kontext des globalen Wettbewerbs bestehen können. Die globalisierte Wirtschaft und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Drittstaaten sind der Gesamtrahmen für die Folgenabschätzungen zu wirtschaftlichen und finanziellen Fragen.

2.10   Für die Abschätzung der Auswirkungen auf die Umwelt ist auch eine Reihe Indikatoren hinzuzuziehen, die aus regelmäßigen Beobachtungen und Daten gewonnen werden, welche unter vergleichbaren technischen Bedingungen und in einem vergleichbaren Umfeld erhoben wurden (etwa Luftqualität im städtischen Bereich, Aufheizung der Atmosphäre usw.). Bei dieser Kategorie von Folgen geht es vor allem darum, die qualitativen Analysen mit der Kosten-Nutzen-Analyse zu kombinieren. Der EWSA ist der Auffassung, dass den Kosten-NutzenAnaly-sen nicht in jedem Falle der Vorzug vor anderen, eher qualitativen Ergebnissen der Vorrang gegeben werden sollte. Es sollte möglich sein, beide Ergebnisarten vorzustellen und Kriterien für einen Vorrang festzulegen, etwa was die Auswirkungen bestimmter Arten der Umweltverschmutzung auf die Gesundheit betrifft. Eigentlich ist es nicht möglich, in einem Geldbetrag Jahre menschlichen Lebens auszudrücken, die durch vorgeschlagene Maßnahmen gewonnen werden können, aber eine solche Datenangabe ermöglicht einen Vergleich über einen Zeitraum, wenngleich die auf die Gesundheit einwirkenden Faktoren mannigfaltig sind und bei einem Vergleich über einen bestimmten Zeitraum erhebliche Fehlerquoten auftreten, insbesondere wegen der Bedeutung anderer Faktoren als der Luftqualität für die Gesundheit (Lebensführung, Ernährung, Wirkungen der Maßnahmen der Früherkennung usw.).

2.11   Besonders wichtig ist die Rolle der Konsultation der betroffenen Kreise und ihrer repräsentativen Einrichtungen auf europäischer Ebene, vor allem des Ausschusses der Regionen und des EWSA, die die organisierte Zivilgesellschaft und die von ihr auf lokaler und regionaler Ebene gewählten politischen Organe vertreten. Wegen der Kürze der vorgegebenen Zeit und der Abfassung der Folgenabschätzungen in nur einer Sprache — diese Umstände sind für eine Vielzahl von Verbänden, vor allem für nationale Verbände ein Problem — müssen die beraten-den Einrichtungen der Union eine besondere Verantwortung in Bezug auf die Qualität der Folgenabschätzungen und auf die Konsultation gemäß den interinstitutionellen Vereinbarungen über die Zusammenarbeit wahrnehmen. Es ist wichtig, dass diese erste Konsultation nicht der Konsultation über die dann tatsächlich den Rechtsetzungsinstanzen vorgelegten Vorhaben im Wege steht, denn letztere Konsultation hat dann eher politischen Charakter.

2.12   Der EWSA begrüßt das komplexe Vorgehen bei den Folgenabschätzungen — bereichsüber-greifend, wenn mehrere Generaldirektionen betroffen sind, sowie ihre zeitliche Streckung (kurz-, mittel- und langfristig). Die 2007 durchgeführte Ex-post-Bewertung der Folgenabschätzungen könnte dazu führen, dass der IAC die Ex-post-Überprüfungen in das Verfahren für die Durchführung der Folgenabschätzungen aufnimmt, um so ein gründliches Nachdenken über die Indikatoren und ihre Zweckmäßigkeit sowie über die Brauchbarkeit der Bewertungen zu ermöglichen, und zwar sowohl der Bewertungen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses als auch der Bewertungen an Hand qualitativer Maßstäbe. Der EWSA ist insbesondere der Meinung, dass die Frage der Indikatoren im Leitfaden selbst eingehender erörtert werden sollte (7), wobei die von Eurostat erhobenen Daten oder die durch spezifische Untersuchungen seitens der Kommissionsdienststellen gewonnenen Daten als Grundlage dienen sollten. Gleiches gilt für die Indikatoren, die von anderen Organisationen aufgestellt wurden, insbesondere von den Agenturen der Vereinten Nationen, etwa ihrem Entwicklungsprogramm (UNDP), und für die Indikatoren, die aus den in mehreren Ländern von Ministerien oder Hochschulen durchgeführten Forschungsarbeiten hervorgegangen sind.

2.13   Die Fragen allgemeiner Art und die Querschnittsfragen werden im zweiten Teil des Entwurfs des Leitfadens ausführlich behandelt: zeitliche Streckung, Berücksichtigung der zu verrin-gernden Verwaltungslasten, Erfordernis, weder die Auswirkungen, die sich nicht unmittelbar in einer Kosten-Nutzen-Analyse einfangen lassen, noch die Wechselwirkung zwischen den die Folgen beeinflussenden Faktoren zu unterschätzen. So ist die Wirkung zu berücksichtigen, die die sonstigen Rechtsetzungsvorhaben entfalten, die angenommen wurden bzw. für die eine Folgenabschätzung läuft, vor allem wenn es um ein Rechtsetzungspaket und allgemeine Ziele der Gemeinschaft geht (Lissabon-Strategie, Wahrung der Grundrechte, europäische Energiestrategie und Ziel der nachhaltigen Entwicklung). Auch externe Auswirkungen dürfen nicht vernachlässigt werden.

2.14   Gesondert betrachtet werden müssen die Auswirkungen auf die KMU-KMI, wie gegebenenfalls höhere Kosten einer Regelung wegen der Größe dieser Unternehmen und der Verwal-tungslasten, die sich bei einem kleinen Betrieb viel stärker als in einem Großunternehmen bemerkbar machen. Der EWSA begrüßt diese besondere Berücksichtigung der Auswirkungen auf die KMU-KMI und pflichtet der Empfehlung der Kommission bei, Maßnahmen zur Verringerung dieser Auswirkungen vorzusehen, wenn sich aus der Folgenabschätzung ergibt, dass diese unverhältnismäßig bzw. übermäßig groß wären.

2.15   Schließlich dürfen die in den Folgenabschätzungen vorgestellten Optionen nicht künstlich oder „an den Haaren herbeigezogen“ sein; vielmehr muss es sich stets um echte, glaubwür-dige und durchführbare Alternativen handeln, aus denen eine politische Auswahl der bestgeeigneten Option erfolgen kann.

3.   Kritische Überlegungen

3.1   Die Kommission erarbeitet im Detail die Verfahren und legt die Fristen für sämtliche Folgenabschätzungen fest. Dennoch sind diese Verfahren und Fristen ausreichend flexibel, um der Vielfalt der besonderen Situationen gerecht zu werden.

3.2   Jede Folgenabschätzung ist ein eigener Ad-hoc-Vorgang, wobei jedoch eine bestimmte Zahl Regeln und Vorgaben unumgänglich sind, sowohl für die vorläufigen als auch für die endgültigen Folgenabschätzungen. Hier wären beispielsweise die diensteübergreifende Konsultation, die Frist für eine an einen externen Berater vergebene Studie, die Haushaltsplanung oder auch das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission zu nennen.

3.3   Die Gemeinsame Forschungsstelle (GFS), deren Forscher vielfach mit einer Universität oder Fachleuten zusammenarbeiten und sich dabei auf die Daten von Eurostat stützen, ist das am häufigsten in die Erstellung der Folgenabschätzungen einbezogene Gremium. Allerdings führen die Forscher bei Bedarf ihre eigene Aggregation der verfügbaren Daten durch, um ein bestimmtes Problem zu beschreiben, bzw. verwenden sie mathematische und haushaltstechnische Verfahren sowie gemeinsame Indikatoren. Sie können auch Untersuchungen oder Mei-nungsumfragen durchführen, um die Standardverfahren der Konsultation zu ergänzen, die für diesen Bereich vorgesehen sind.

3.4   Eine deutliche Tendenz bei den Folgenabschätzungen, die im Übrigen auch den methodo-logischen Anforderungen im Anhang gerecht wird (der Anhang enthält ein neues Handbuch bzw. einen Leitfaden für die Erstellung von Folgenabschätzungen) besteht darin, die Auswirkungen verschiedener Optionen in Geldwert auszudrücken, um so ein zusätzliches Entschei-dungskriterium zur Verfügung zu stellen.

3.5   Zwar können Umweltverträglichkeitsprüfungen (8) beispielsweise Messungen von Kosten bzw. von Einsparungen enthalten, bestimmte Faktoren sollten aber trotz der Kosten aus höherrangigen, qualitativen Gründen ebenfalls berücksichtigt werden: Auswirkungen auf den Klimawandel, Wahrung der Grundrechte, ethische Fragen und die kurz- und langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit.

3.6   Die qualitativen Kriterien sollten häufig Vorrang haben, denn sie entsprechen den Zielen der Union allgemein und in ihren Politikbereichen. Sie können schließlich in finanziellen Kosten münden (ein Beispiel war die Entschädigung von Asbestopfern), aber die Vorsorge ist hier ethisch gesehen eine zwingende Notwendigkeit. So war Asbest zwar eine wirksame und kostengünstige Lösung für die Wärmedämmung von Gebäuden, Maschinen und vor allem Rohrleitungen, aber heute fressen die Kosten für die Asbestbeseitigung die seinerzeit kurzfristig erzielten finanziellen Vorteile vollständig wieder auf. Der Saldo ist also negativ, und nach mehreren Jahrzehnten kann der Verursacher der Umweltverschmutzung zumeist nicht mehr haftbar gemacht werden. Das Vorsorgeprinzip sollte daher nachdrücklich in den Folgenabschätzungen bekräftigt werden, es darf aber nicht als Vorwand für Tatenlosigkeit dienen.

3.7   Mit Abstand betrachtet lässt sich sagen, dass die größten Probleme bei der Konsultation der betroffenen Kreise auftreten. Bestimmte Kommentare werden manchmal als individuelle Ansichten interpretiert, obwohl der Autor möglicherweise ein Kleinunternehmer oder Selbstständiger ist, dessen wertvolle Erfahrung nicht hinter den Aussagen etablierter und zielgerichtet tätiger Lobbyisten zurückstehen sollte, die in der Lage sind, zuweilen verzerrte Gutachten bzw. Informationen zu liefern (9).

3.8   Im Rahmen sehr komplexer Vorhaben lassen sich die Auswirkungen unter Umständen nur sehr schwer beziffern (z. B. REACH). Der Schutz der Arbeitnehmer und der Nutzer der Pro-dukte behielt letztlich die Oberhand, wenngleich die Branche sehr gewichtige Unterstützung in der Politik gefunden hatte, um die Tragweite der Rechtsvorschriften zu begrenzen.

3.9   Solche Situationen sind jedoch durchaus an der Tagesordnung. Die Vereinigungen der betroffenen Akteure verteidigen ihre Interessen, es obliegt jedoch dem Gesetzgeber/den Rechtset-zungsinstanzen, dem Gemeinwohl vor kurzfristigen Partikularinteressen Vorrang zu verschaffen. Diese kurzfristigen „Einschränkungen“ können mittelfristig zu Wettbewerbsvorteilen werden, insbesondere wenn europäische Standards festgelegt werden, die bei einem tech-nologischen Vorsprung zu weltweiten Standards werden (z. B. Begrenzung der Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen, Bemühungen um die Förderung alternativer, weniger umweltschädlicher und nachhaltigerer Energieträger).

3.10   Der Rückgriff auf Grünbücher und Weißbücher zur Vorbereitung der Rechtsetzung erweist sich verbunden mit einer öffentlichen Debatte als sehr geeignet, um die Standpunkte der betroffenen Kreise und im weiteren Sinne der organisierten Zivilgesellschaft im Rahmen des EWSA bzw. über Vertreter in den fachspezifischen Nichtregierungsorganisationen auf euro-päischer Ebene einzuholen. Der Gesetzgeber selbst hat im Rahmen einer internen Debatte dann Zeit, nach dynamischen Kompromissen zu suchen.

3.11   Der EWSA muss hingegen feststellen, dass überstürztes Vorgehen oder ideologische Positionen auch Projekte beeinträchtigen können, die letztendlich verworfen oder aber stark abgeändert werden, obwohl ein weniger brachiales Vorgehen zu für alle Parteien akzeptablen Ergebnissen hätte führen können (das war der Fall beim Entwurf einer Richtlinie über die „Hafendienstleistungen“, die mit heißer Nadel von einer scheidenden Europäischen Kommission genäht wurde, die sich damals nicht die Zeit für eine Konsultation und die Suche nach Kompromissen genommen hatte).

3.12   Die derzeitige Krise sollte Anlass sein, mehr Vorsicht gegenüber bestimmten Vorurteilen und sonstigen „maßgeblichen“ Grundsätzen walten zu lassen. Das Kriterium des Praxistests ist wesentlich für den Aufbau einer kollektiven Erfahrung mit den Folgenabschätzungen, wobei zugleich Vorsicht und Kreativität herrschen können. Dieses Konzept steht im Gegensatz zu sogenannten wissenschaftlichen Konzepten wie z. B. der Auffassung, ein nicht regulierter Mark sei effizienter als eine angepasste Regelung, die auf die Sicherstellung von Transparenz und auf die Verhütung von Schieflagen und Betrug ausgerichtet ist, und der Auffassung, staatliche Beihilfen seien von Natur aus etwas Negatives. Eine realistische und ausgewogene Sicht der Dinge sollte gegenüber zu stark vereinfachenden Ansichten aus der Welt der Wirt-schaft und Finanzen den Vorrang erhalten.

4.   Schlussfolgerungen

4.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Auffassung, dass die Folgenabschätzungen zur wirksamen Verbesserung der Rechtsetzung beitragen, und er bekräftigt seine Bereitschaft, daran im Rahmen seiner Zuständigkeiten und der verfügbaren Mittel und Personalressourcen mitzuwirken. Es geht hier um eine wesentliche politische Voraussetzung für die bestmögliche Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in einzelstaatliches Recht. Es sollte sichergestellt werden, dass der Prozess der Rechtsetzung bzw. Aufstellung von Normen so gut es geht von den Bürgerinnen und Bürgern verstanden wird, ganz gleich, ob es sich um materielles Recht (hard law) oder freiwillige Vereinbarungen (soft law) handelt. Des Weiteren sollten die repräsentativen nichtstaatlichen Organisationen über den klassischen Kanal der Fragebögen an den Gestaltungsprozessen der Gemeinschaft beteiligt werden.

4.2   Der EWSA ist überzeugt, dass die Generaldirektionen diesen Konsultationen permanent hohe Aufmerksamkeit widmen sollten, denn die gegenüber bestimmten Rechtsetzungsvorschlägen geäußerten Einwände sind nicht immer ausreichend berücksichtigt worden. Dies hat zuweilen zu umfangreichen Änderungen der Vorschläge über substantielle Änderungsanträge oder gar zur Ablehnung durch Ministerrat oder Parlament geführt, die als Rechtsetzungsinstanzen die Reaktionen bzw. Signale aus der Zivilgesellschaft aufmerksam aufnehmen. Durch die partizi-pative Demokratie können Situationen vermieden werden, die letztendlich sowohl politisch als auch in Bezug auf die Haushaltsmittel sehr kostspielig werden können.

4.3   Die Rolle des Gemeinschaftsgesetzgebers kann durch ein modernes und wirksames Verfahren der Aufstellung von Rechtsnormen nur gewinnen.

4.4   Abschließend begrüßt der EWSA die Anstrengungen und Instrumente, die seit Jahren im Hinblick auf eine bessere Rechtsetzung unternommen bzw. eingesetzt werden, denn letztere hat entscheidende Bedeutung für eine rechtsstaatlich funktionierende Union, und er fordert die Kommission auf, diesen Weg weiter zu gehen.

Brüssel, den 22. Oktober 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2007) 65 endg. vom Februar 2007.

(2)  Stellungnahme CESE, ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 9.

(3)  KOM, Mai 2008, Arbeitsdokument ohne Nummer (http://ec.europa.eu/governance/impact/consultation/ia_consultation_de.htm).

(4)  CHEVALLIER, J. (1995), „L'évaluation législative: un enjeu politique“ (Bewertung der Rechtsvorschriften: eine politische Herausforderung), in DELCAMP A. u. a., Contrôle parlementaire et évaluation (parlamentarische Kontrolle und Bewertung), Paris, 1995, S. 15.

(5)  Zu berücksichtigen wären auch die tragischen Erfahrungen aus Zeiten, in denen das Recht allgemein und insbesondere die Rechte des Einzelnen mit einer zum Teil unvorstellbaren Bestialität verletzt wurden.

(6)  KOM(2002) 276 endg., 5.6.2002.

(7)  Leitlinien für die Folgenabschätzung.

(8)  Ziffer 9.3.4. des Anhangs „Modelle für die Umweltverträglichkeitsprüfung“.

(9)  Dieser Aspekt wurde deutlich bei der Konsultation zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen (von den Dienststellen der Generaldirektion Binnenmarkt erstelltes Konsultationsdokument vom 19.10.2000).


Top