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Document 52007AE0421

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Tierschutzkennzeichnung

ABl. C 161 vom 13.7.2007, p. 54–60 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
ABl. C 161 vom 13.7.2007, p. 17–17 (MT)

13.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 161/54


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Tierschutzkennzeichnung“

(2007/C 161/17)

Mit Schreiben vom 28. November 2006 ersuchte die deutsche Ratspräsidentschaft den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Stellungnahme zu folgendem Thema: „Tierschutzkennzeichnung“.

Die Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz wurde mit den Vorarbeiten zu dieser Stellungnahme beauftragt.

Aufgrund der Dringlichkeit bestellte der Ausschuss auf seiner 434. Plenartagung am 14.-15. März 2007 (Sitzung vom 15. März) Herrn NIELSEN zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 92 gegen 6 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Das Interesse an der Förderung tiergerechterer Produktions- und Zuchtmethoden für Nutztiere in der Europäischen Union nimmt zu. Vor diesem Hintergrund wird eine freiwillige Kennzeichnungsregelung als Ergänzung zu den bereits geltenden verbindlichen Tierschutz-Mindestanforderungen angeregt, die zusammen mit den allgemeinen gewerblichen Kennzeichnungen als auch mit stärker qualitätsbezogenen Kennzeichnungen — etwa „quality schemes“ — verwendet werden kann. Dadurch würden die Kräfte des Marktes unterstützt und weder das politische System noch die einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden unnötig belastet. Derartigen Gütesiegeln kommt im Wettbewerb auf dem Lebensmittelmarkt eine wichtige Rolle zu; sie erfassen häufig unterschiedliche Elemente des Wohlbefindens von Tieren, die über die geltenden verbindlichen Mindestnormen hinausgehen. Für die Verbraucher ist es allerdings schwierig, die Grundlagen der Kennzeichnung und den Inhalt der Regeln zu überblicken, und nicht immer beruhen die Tierschutzaspekte auf einer ausreichenden wissenschaftlichen Grundlage.

1.2

Ein derartiges marktbasiertes System, das auf objektiven Kriterien zur Bestimmung des Maßes an Tiergerechtheit beruht, hätte den Vorteil, flexibler, effektiver und zukunftsfähiger zu sein als politisch festgesetzte Kriterien und wäre daher zweckdienlicher. Die künftige Entwicklung der Erzeugung dürfte durch eine größere Spannbreite der Produktionsverhältnisse geprägt sein, was auf die EU-Erweiterung, die kontinuierliche Spezialisierung und Diversifizierung der Produktion sowie die strukturellen Änderungen im Einzelhandel und die Partnerschaften in der Produktentwicklung und bei Markenwaren zurückzuführen ist.

1.3

Tiergerechtere Produktions- und Zuchtmethoden müssen gefördert werden, was auf direktem Weg durch Bildungsmaßnahmen und die Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse geschehen kann, aber auch dadurch, dass die Signale des Marktes wahrgenommen werden, die zugleich auch ein wichtiger Impulsgeber für das Setzen von Schwerpunkten in der Ausbildung, bei Investitionen usw. sein können. Auf diese Weise kann ein Kennzeichnungssystem zu notwendigen durchgängigen Synergien und einem rationelleren Einsatz der Ressourcen beitragen. Die Nutztierzüchter sind an einem stabilen Rahmen interessiert, denn heutzutage müssen sie den wechselnden Vorgaben der Einzelhandelsketten, die mehr oder weniger begründet sind, folgen, was ihre Planung und Investitionsstrategie beeinflusst.

1.4

Ein über die Mindestnormen hinausgehendes Tierschutzkennzeichnungssystem sollte demnach ein freiwilliges Angebot für die betroffenen Erzeuger, den Handel und die Industrie sein; privatwirtschaftliche Kennzeichnungsregelungen können auf wissenschaftlichen und praktisch fundierten Standards aufbauen und im Zuge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aktualisiert werden. Konkret könnten auf freiwilliger Basis Logos zusammen mit einer Farbmarkierung oder einem Punktesystem eingesetzt werden, die die gewerblichen Gütesiegel ergänzen und in Verbindung mit einer privaten, unabhängigen Kontrolle eine sachliche Vermarktungsgrundlage schaffen würden. Ein solches System könnte im Prinzip für alle Nutztierarten und tierischen Erzeugnisse herangezogen werden. Den WTO-Bestimmungen zufolge könnte es auch zu gleichen Bedingungen auf eingeführte Produkte angewendet werden.

1.5

Die herkömmliche Behördenregulierung soll jedoch weiterhin bei der Festsetzung von Mindestnormen in der EU erfolgen, wie auch — wie bisher — bei der Kennzeichnung der Art der Erzeugung von Eiern und ökologischen Produkten. Diese Art der Regulierung ist jedoch politisch und verwaltungstechnisch schwerfällig, weshalb sie sich weniger eignet, um Anreize für die Entwicklung artgerechterer Produktions- und Zuchtmethoden zu bieten. Auch würden Erzeuger, Industrie und Handel das System als starr und bürokratisch empfinden — nicht einmal den Verbrauchern würde es wesentliche Vorteile bringen.

1.6

Die vorgeschlagene Regelung ähnelt im Wesentlichen den allgemeinen Umweltschutzkennzeichnungen, darunter dem Umweltzeichen der EU. Die Umweltschutzkennzeichnungen beruhen auf gemeinsamen Grundsätzen für die Produktion und die Anwendung auf überaus verschiedenartige Erzeugnisse, wodurch eine größere Synergie geschaffen und der Kennzeichnung zu einem größeren Bekanntheitsgrad verholfen werden kann. Aufgrund der Wettbewerbssituation werden die Akteure in der Lebensmittelbranche jedoch verständlicherweise ihre eigenen Gütesiegel bevorzugen, weshalb sich das „Umweltmodell“ nicht unmittelbar für die Tierschutzkennzeichnung eignet; außerdem muss eine Tierschutzkennzeichnung unbedingt auf einschlägigen Forschungserkenntnissen und einer Gewichtung der Tierschutzindikatoren basieren.

1.7

Die Forschungsmaßnahmen in der Europäischen Union im Tierschutzbereich entscheiden, ob es in Zukunft möglich sein wird, Tierschutzbelange auf wissenschaftlicher und objektiver Basis in der Kette Landwirtschaft-Produktion-Handel zu berücksichtigen. Doch sollten die Elemente einer Kennzeichnungsregelung schon bald definiert werden, damit die Erkenntnisse aus der Forschung und einheitliche objektive, messbare und nachprüfbare Tierschutzindikatoren, sobald sie vorliegen, in eine praktische Strategie und in die Anwendung im Rahmen eines Kennzeichnungssystems umgesetzt werden, sodass die Betroffenen sich mit der Regelung vertraut machen können.

1.8

Als unumgänglich erweisen sich intensive Aufklärungskampagnen u.a. an die Adresse der Verbraucher und des Einzelhandels, und zwar auch zu den vorgeschriebenen EU-Mindestnormen. Ferner sollte über die Einrichtung einer durch die Europäische Union geförderten Internetseite und einer Datenbank nachgedacht werden, um eine größere Transparenz und Offenheit zu erzielen, setzt doch die Anwendung gemeinsamer Leitlinien die Veröffentlichung des genauen Inhalts voraus. Weiterhin muss erwogen werden, das Verbot und die Kontrolle unrichtiger und irreführender Werbebehauptungen strenger zu handhaben, um sicherzustellen, dass die Unternehmen in größerem Maße ihren eigenen Behauptungen nachkommen.

2.   Hintergrund

2.1

Entsprechend dem Ersuchen der deutschen Ratspräsidentschaft sollen in der Stellungnahme mögliche Systeme zur Kennzeichnung der tiergerechten Erzeugung sowie die Ausgestaltung solcher Systeme beschrieben werden. Dies soll mit Blick auf die Entwicklung von Produktions- und Zuchtmethoden geschehen, die den Tierschutz stärker berücksichtigen. Dabei steht das zunehmende Interesse für das Wohlbefinden der Tiere in der Europäischen Union im Hintergrund, wo Tierschutzbelange ebenso wie andere ethische Aspekte zunehmend als Elemente des „europäischen Gesellschaftsmodells“ aufgefasst werden. Die Verbraucher haben die berechtigte Erwartung, (die in Eurobarometer-Umfragen zum Ausdruck kommt), dass tierische Lebensmittel durch Verfahren erzeugt werden, die die in der EU geltenden Rechtsvorschriften (insbesondere im Bereich des Tierschutzes) berücksichtigen, und dass objektive und glaubwürdige Kriterien vorliegen, mit deren Hilfe tiergerecht erzeugte Lebensmittel ausgewählt werden können (1). Hinzu kommt ein vielfältiger Zusammenhang zwischen Tierschutz und Gesundheit bei Nutztieren und der Entwicklung von Krankheiten, die auf den Menschen übertragen werden können.

2.2

Wie aus den meisten Erhebungen hervorgeht, halten die Verbraucher das Wohlergehen der Tiere für einen wesentlichen Parameter der Produktqualität; diese Sichtweise mag in einigen Mitgliedstaaten freilich weniger stark ausgeprägt sein. Das Wohlergehen bzw. die Lebensqualität eines Tieres ist die Summe der positiven oder negativen Erlebnisse, denen das Tier im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist: Schmerz, Krankheit, Konfliktverhalten, Verhaltensauffälligkeiten sowie Dauerstress sind als negative Erfahrungen für das Tier zu werten, wohingegen Ruhe, Schlaf, Futter, Brut- und Hautpflege als positive Erlebnisse gelten dürfen. Es gibt allerdings keine anerkannte eindeutige Definition des Wohlbefindens von Tieren.

2.3

Die Europäische Union hat unter anderem auf der Grundlage der Empfehlungen des Europarats eine Reihe von Mindestnormen für den Tierschutz verabschiedet und dabei den Weg der herkömmlichen Behördenregulierung gewählt. Viele dieser Mindestnormen sollen in den kommenden Jahren im Einklang mit früheren Beschlüssen überarbeitet werden. Ferner wurden spezifische Regeln für eine freiwillige Kennzeichnung ökologischer Erzeugnisse und für die verbindliche Kennzeichnung der Produktionsmethode bei der Vermarktung von Eiern sowie einige vereinzelte Bestimmungen über die Vermarktung von Schlachtgeflügel und Rindfleisch verabschiedet.

2.4

Die Lebensmittelindustrie und der Einzelhandel, die durch steigende Konzentration und Wettbewerb geprägt sind, arbeiten zunehmend mit eigenen Gütesiegeln, welche die besondere Berücksichtigung verschiedener Qualitätsaspekte — darunter auch zunehmend die artgerechte Erzeugung — verdeutlichen sollen. Parallel hierzu haben Erzeugerorganisationen und Genossenschaften eine Reihe regionaler Gütesiegel entwickelt, die sich meist auf den Tierschutzaspekt und die Ökologie beziehen. Einzelne Produktionen können vom System der EU zum Schutze geografischer Bezeichnungen und traditioneller Spezialitäten (2) profitieren.

2.5

Es sind bedeutende länderspezifische Unterschiede zu verzeichnen. So dominieren auf dem britischen Markt Kennzeichnungen des Handels, während beispielsweise in Frankreich und Italien eine Vielzahl regionaler Gütesiegel zu beobachten sind. In den Niederlanden herrschen traditionell die Gütesiegel des verarbeitenden Gewerbes vor, doch führen der Einzelhandel und die Erzeugerorganisationen immer mehr eigene Gütesiegel ein. In Schweden geben herstellereigene Kennzeichnungen den Ton an, wobei in Übereinstimmung mit der in vielen Ländern anzutreffenden traditionellen Auffassung heimischen Produkten eine höhere Qualität zugeschrieben wird, zu der u.a. auch der Tierschutz herangezogen wird.

2.6

Gestützt auf die Erfahrungen mit freiwilligen Kennzeichnungsregelungen beabsichtigt die Kommission, die Anwendung spezifischer, objektiver und messbarer Tierschutzindikatoren in den geltenden und künftigen Rechtsakten der Gemeinschaft zu fördern. Dies soll die Grundlage für eine Rechtsetzung über die Validierung von Produktionssystemen bilden, in denen höhere Tierschutznormen als die in den geltenden Bestimmungen festgeschriebenen Mindestnormen gelten (3). Laut Kommission erfordert dies eine Klassifizierung der angewandten Tierschutznormen mit Blick auf die Förderung der Entwicklung tiergerechterer Produktions- und Zuchtsysteme und die erleichterte Anwendung dieser Normen in der EU und auf internationaler Ebene. Außerdem will die Kommission auf dieser Grundlage Möglichkeiten für eine EU-Kennzeichnung in Erwägung ziehen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Als Vertreter der Zivilgesellschaft ist es Aufgabe des EWSA, an der Ausarbeitung und Einführung relevanter Kennzeichnungsregelungen in Form eines gemeinsamen europäischen Systems, das der nachhaltigen Entwicklung auf dem Binnenmarkt und dem Handel mit Drittstaaten dient, mitzuwirken. Das Wohlbefinden der Tiere ist Bestandteil des europäischen Kulturerbes und der Werte der Europäischen Union — wie auch die soziale Verantwortung der Unternehmen, der Umweltschutz und die Ökologie, welche bis zu einem gewissen Grad in der Rechtsetzung der Gemeinschaft festgeschrieben sind. Anknüpfungspunkte zu den Belangen der Ökologie liegen auf der Hand, die im Sinne der Nachhaltigkeit bei der landwirtschaftlichen Erzeugung auf dem Umweltschutz und dem Wohlbefinden der Tiere aufbaut.

3.2

Der EWSA unterstützt das Ansinnen der Kommission, die Verbesserung des Wohlbefindens der Tiere in der Europäischen Union auf sachlicher und nachhaltiger Grundlage (4) zu fördern und hält ein gemeinsames System für die Kennzeichnung für angebracht, um so artgerechtere Produktions- und Zuchtmethoden zu fördern. Damit soll vor allem auch dazu beigetragen werden, dass sich die Marktkräfte auf objektiver Grundlage entfalten und „die richtige Richtung einschlagen“. Zugleich ist es wichtig, dass die Produktions- und Zuchtmethoden, die in höherem Maße dem Wohl der Tiere gerecht werden, durch Ausbildung und Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gefördert werden. Die Signale des Marktes werden natürlich auch Impulse für die Schwerpunktsetzung in der Forschung, der Ausbildung der Landwirte, Berater und Tierärzte sein und sich auf künftige Investitionen in die Produktionssysteme auswirken. Ein Kennzeichnungssystem kann somit zu Synergien und zur rationalen Ressourcennutzung beitragen, und zwar nicht zuletzt in Bezug auf die Planung und Investitionsstrategie der Erzeuger.

3.3

Ohne Zweifel handelt es sich um einen langfristig angelegten Prozess, der notwendig parallel zu der Entwicklung objektiver, messbarer, reproduzierbarer und wissenschaftlich fundierter Tierschutzindikatoren sowie der Validierung verschiedener Produktionssysteme stattfinden muss. Ungeachtet dessen müssen schon zu einem frühen Zeitpunkt Rahmen und Grundsätze für die Ausgestaltung eines gemeinsamen Kennzeichnungssystems für tiergerecht hergestellte Erzeugnisse festgelegt werden, sodass die Arbeiten vorbereitet und nach und nach standardisierte Tierschutzindikatoren in das System eingearbeitet werden können. Deshalb muss bei den Beteiligten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Verständnis und Akzeptanz der Leitlinien und der Ausgestaltung des gemeinsamen Systems erzielt werden, das auf alle tierischen Produkte auf möglichst freiwilliger und flexibler Basis Anwendung finden soll.

3.4

Dieser Prozess wird freilich nicht nur durch einen Mangel an verfügbaren Erkenntnissen über die Tierschutzaspekte und ihre Bedeutungshierarchie kompliziert — hinzu kommen noch die Vielfalt der Verbraucherpräferenzen und Produktionsverhältnisse, der Einfluss unterschiedlicher Traditionen und Bildungsniveaus auf die Meinungsbildung, der Wettbewerb in der Lebensmittelbranche, die Vielfalt der geltenden Rechtsbestimmungen, die Schwierigkeiten beim inhaltlichen Vergleich privater Gütesiegel sowie das Vertrauensdefizit in Bezug auf private und öffentlichen Kontrollstellen, das etwa in Verbindung mit Importen in die Europäische Union herrscht.

3.5

Eine klare und informative Kennzeichnung ist unter allen Umständen ein Schlüsselfaktor für die Förderung von Produktions- und Zuchtmethoden, die dem Wohl der Tiere besser Rechnung tragen. So haben die Erfahrungen mit ökologischen Produkten und alternativen Eierproduktionssystemen ergeben, dass über Kennzeichnungsregeln potenziell Einfluss auf die Produktionssysteme im Sinne des verbesserten Wohlbefindens der Tiere genommen werden kann.

3.6

Kennzeichnungsregelungen fallen in die Zuständigkeit der Europäischen Union. Sie sind Gegenstand andauernder Debatten und Interessenkonflikte; die Kommission beabsichtigt, bis Ende 2007 (5) einen Vorschlag für eine geänderte Kennzeichnungsrichtlinie vorzulegen. Relevante und übersichtliche Kennzeichnungen sind nicht selten das Ergebnis von Kompromissen, die manche Wünsche und Forderungen unberücksichtigt lassen. Dies gilt nicht zuletzt für Lebensmittel, bei denen es oft heißt, die Kennzeichnungsanforderungen seien zu umfassend. Die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörden sind skeptisch, was eine noch umfassendere Kennzeichnung anbelangt, denn dadurch würde die Gefahr heraufbeschworen, dass grundlegende Informationen über die Eigenschaften der Lebensmittel durch andere Informationen in den Hintergrund gerückt würden. Zudem sind sich die Verbraucher nicht sicher, ob zusätzliche Informationen auf den Lebensmitteln, und hier besonders hinsichtlich der ethischen Merkmale, von Nutzen sind. Aus diesem Grunde sollte man es bei der Kennzeichnung artgerechter Produkte bei einem kleineren Logo bewenden lassen, das in Kombination mit einer Farbkennzeichnung, Sternen oder Punkten die bestehende Kennzeichnung ergänzt.

4.   Einfuhren in die EU

4.1

Weitergehende rechtliche Auflagen und Restriktionen in der EU bergen das Risiko, dass Einfuhren aus Ländern mit niedrigeren Standards die Erzeugung und den Absatz der EU-Produkte beeinträchtigen und zum Verlust von Marktanteilen auf dem Weltmarkt führen könnten. Bei intensiveren Bemühungen um das Wohlbefinden der Tiere in Europa mit seinem 30 Staaten und 500 Mio. Einwohner umfassenden Binnenmarkt (6) würden jedoch auch für Staaten außerhalb der EU und für deren Ausfuhren in die EU Anreize geschaffen. So hat etwa die zur Weltbank gehörende Internationale Finanzkorporation unlängst auf das weltweit steigende Interesse am Wohlergehen der Tiere und die Notwendigkeit von Anpassungen an diese Entwicklung hingewiesen, die sowohl in der Primärproduktion als auch in der industriellen Verarbeitung (7) erfolgen sollten.

4.2

In der Europäischen Union aufgewachsene, geschlachtete und zerteilte Tiere, aus denen verarbeitete oder unverarbeitete Produkte hergestellt werden, müssen selbstredend die Mindestnormen der Europäischen Union erfüllen, weshalb hier eine Kennzeichnung überflüssig ist. Hingegen wird oft die berechtigte Forderung laut, bei Importerzeugnissen den Ursprung anzugeben oder sie so zu kennzeichnen, dass direkt oder indirekt erkennbar ist, ob sie den Mindestanforderungen der Europäischen Union gerecht werden. In früheren Stellungnahmen des ESWA wurde bereits darauf hingewiesen, dass langfristig gesehen Tierschutzbelange im Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen als vollberechtigtes Anliegen eingestuft werden sollten, damit bei der Einfuhr die Erfüllung der Mindestnormen gefordert werden kann. Vor diesem Hintergrund sollte näher geprüft werden, inwieweit die Forderung nach einer verbindlichen Kennzeichnung des Ursprungslandes bei eingeführten Produkten rechtmäßig ist. Falls es keine Gewähr für die Erfüllung von Normen gibt, die den EU-Mindestnormen entsprechen, wäre zu prüfen, ob die Angabe „unbekannte Produktionsmethode“ statthaft ist.

4.3

Um alle europäischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die den vorgeschriebenen europäischen Tierschutznormen entsprechen, zu berücksichtigen und um sie von außereuropäischen Erzeugnissen zu unterscheiden, die nicht denselben Vorschriften unterliegen, könnte eine geeignete Herkunftsangabe bzw. eine Angabe darüber, wo der landwirtschaftliche Rohstoff, aus dem das Erzeugnis besteht, angebaut oder erzeugt wurde, im Sinne der folgenden Angaben eingeführt werden:

„EU-Landwirtschaft“, wenn der landwirtschaftliche Rohstoff, aus dem das Erzeugnis besteht, in der EU angebaut oder erzeugt wurde;

„Nicht-EU-Landwirtschaft“, wenn der landwirtschaftliche Rohstoff, aus dem das Erzeugnis besteht, in einem Drittland angebaut oder erzeugt wurde;

„EU-/Nicht-EU-Landwirtschaft“, wenn ein Teil des landwirtschaftlichen Rohstoffs, aus dem das Erzeugnis besteht, in der EU und ein Teil in einem Drittland angebaut oder erzeugt wurde.

Die Angabe „EU“ bzw. „Nicht-EU“ kann ggf. durch ein Land ersetzt bzw. ergänzt werden, wenn alle landwirtschaftlichen Rohstoffe, aus denen das Erzeugnis besteht, in diesem Land angebaut oder erzeugt wurden.

4.4

Zwar sollte Ausgangspunkt und Voraussetzung für jedwede Regelung die Vereinbarkeit mit den WTO-Bestimmungen sein, was aber nicht heißt, dass sich die Europäische Union, wie in früheren Stellungnahmen des EWSA erwähnt, nicht veranlasst sehen könnte, einseitig Schritte zu unternehmen, um das notwendige Verständnis für die Anpassung der Rechtslage herbeizuführen. Auf jeden Fall müssen Importeure und Einzelhandelsketten sowohl kurz- als auch langfristig Verantwortung übernehmen, um die Erfüllung der entsprechenden Anforderungen durch Zertifizierung und ähnliche Garantien beim Import aus Drittländern sicherzustellen.

5.   Herkömmliche behördliche Regulierung

5.1

In der EU wurde eine Reihe von Mindestnormen für das Wohlbefinden der Tiere festgelegt; frühere Beschlüsse verpflichten die Kommission, in den nächsten Jahren Vorschläge zu deren Überarbeitung und Aktualisierung vorzulegen (8). Die Mindestnormen wurden nach oft schwierigen politischen Verhandlungen in ausführlichen Rechtsakten festgelegt. Künftig sollten die Mindestnormen noch stärker auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und einer objektiven Analyse der Verhältnisse fußen, was auch den politischen Prozess erleichtern dürfte. Demnach sollten die Regeln gemäß dem zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen Wissensstand und auf einem sachdienlichen und fundierten Niveau festgelegt werden, das die praktischen Möglichkeiten unter ordnungsgemäßen Verhältnissen in den Bereichen Primärproduktion, Transport, Betäubung und Schlachtung berücksichtigt. Auch künftig sollten die Mindestnormen unbedingt auf diese Art, also durch öffentlich-rechtliche Regulierung, festgelegt werden.

5.2

Auch die Bestimmungen über die freiwillige Kennzeichnung ökologischer Produkte und die verbindliche Angabe der Produktionsmethoden bei der Vermarktung von Frischeiern wurden bis ins Detail in den Rechtsakten der Gemeinschaft festgeschrieben. Anders gesagt, bei Verwendung von näher bestimmten Bezeichnungen bei der Kennzeichnung müssen die Rechtsvorschriften der EU eingehalten werden. Dadurch sollen faire Wettbewerbsbedingungen sowie zuverlässige Verbraucherinformationen gesichert werden. Diese Art der Kennzeichnung in Kombination mit umfassenden verbindlichen Anforderungen geht auf den Wunsch der Verbraucher zurück bzw. ist wesentlich für die Funktion des Marktes, da dadurch die Verwendung von Handelsbezeichnungen geregelt wird, die die Verbraucher mit bestimmten Produktionsformen verbinden. Zudem werden die geforderten gesetzlichen Mindestbedingungen geschaffen, um Betrug und Verwechslungen auf dem Markt zu vermeiden. Auch hier haben die Erfahrungen gezeigt, dass die Festlegung von Kriterien schwierig und zeitraubend ist. Es handelt sich um eine umfangreiche Arbeit, die für die Unternehmen und die einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden mit Registrierung, Buchführung und Inspektionen verbunden ist. Dessen ungeachtet sollte das derzeit angewendete Modell der Regulierung in diesen Bereichen beibehalten werden.

5.3

Dem Vorschlag für Mindestnormen zum Schutz von Masthühnern zufolge plant die Kommission spätestens zwei Jahre nach deren Verabschiedung die Vorlage eines Berichts „über die mögliche Einführung einer spezifischen, gemeinschaftsweit harmonisierten und verbindlichen Regelung zur Etikettierung von Geflügelfleisch, Geflügelfleischerzeugnissen und Geflügelfleischzubereitungen, mit der die Einhaltung der Tierschutznormen bescheinigt werden soll.“ (9) So wird ggf. ein paralleles Regelwerk zu den bestehenden Gemeinschaftsbestimmungen über Produktionssysteme für Eier mit Kennzeichnungsregeln, die sich auf unterschiedliche Produktionsformen beziehen, entstehen.

5.4

Das klassische Regulierungsmodell eignet sich allerdings nur dann, wenn zwischen klar definierten Produktionsformen unterschieden werden kann, die für die Verbraucher überschaubar sind. Dies gilt gleichermaßen für die Ökologieverordnung, die primär auf die Umweltaspekte abstellt und nicht unmittelbar den Tierschutz behandelt. Das Modell könnte eventuell auch für die Masthuhnerzeugung verwendet werden, sofern der Verbraucher im Stande ist, den Hintergrund der Kennzeichnung zu verstehen und sich daran zu erinnern; das Modell wird sich indes als unüberschaubar erweisen, falls es auf mehrere tierische Erzeugnisse ausgedehnt wird.

5.5

Angesichts der unterschiedlichen Produktionsverhältnisse in der erweiterten EU und der künftigen Marktentwicklung ist die herkömmliche Regulierung auch zu starr und zu kompliziert. Es bestünde die Gefahr, dass sie sich als Bremse erweist oder — infolge komplizierter Revisionsprozesse und der schwierigen Berücksichtigung natürlicher Unterschiede des Produktionsprozesses — die Entwicklung zum Stillstand bringt. Dieses politisch und verwaltungstechnisch anspruchsvolle Modell ist zudem für die Marktteilnehmer nicht attraktiv genug; dadurch würde nicht zuletzt auch der Anreiz für private Gütesiegel geringer, die sich beispielsweise auf die Erzeugung in einer bestimmten Region beziehen. Erfahrungsgemäß muss außerdem eine Zunahme des Verwaltungsaufwands für die Kontrolle befürchtet werden, wenn von einer freiwilligen zu einer verbindlichen Kennzeichnung übergegangen wird.

5.6

Der verstärkte Einsatz des „klassischen“ Behördenmodells auf EU-Ebene mit Verwendung behördlicher Kennzeichnungen ist daher nicht sachdienlich. Das gilt auch für einzelstaatliche Kennzeichnungsregelungen, die prinzipiell im Widerstreit zum Binnenmarkt stehen. Auch eine Kennzeichnung, die anzeigt, dass EU-Mindestnormen erfüllt sind, wäre nur dann sinnvoll, wenn es sich dabei — wie bei den Eier-Produktionssystemen — um einen Bestandteil der Kennzeichnung auf verschiedenen Ebenen handelt.

6.   Das „Umweltmodell“

6.1

Ein generell freiwilliges Kennzeichnungssystem entsprechend der Regelung für die Vergabe des EU-Umweltzeichens (10) und entsprechende nationale Regelungen eignen sich weniger, um die Entwicklung von Produktions- und Zuchtmethoden zu fördern, die dem Wohl der Tiere besser Rechnung tragen. Lebensmittelindustrie und Handel würden zweifelsohne eher der Weiterentwicklung eigener Gütesiegel Vorrang einräumen. Obwohl das „Umweltmodell“ größere Ähnlichkeit mit dem vorgeschlagenen Modell auf freiwilliger Basis für tierische Produkte aufweist, wäre es als Basis für die Einführung objektiver Tierschutzkriterien ungeeignet, genau wie ein Modell, das der EU-Umweltzeichenregelung entspricht, zu bürokratisch für die Tierschutzkennzeichnung wäre.

6.2

Bei den derzeitigen Umweltzeichen ist prinzipiell ein Sekretariat damit beauftragt, den Beteiligten bei der Festlegung von Umweltkriterien, die über die gesetzlichen Auflagen hinausgehen, zu helfen. Außerdem leistet dieses Sekretariat Informationsarbeit gegenüber Verbrauchern und Einkäufern. Diese Methode hat den Vorteil, dass die Kennzeichnung grundsätzlich für alle Produkte verwendet werden kann und dadurch ein größeres Anwendungsspektrum durch Synergie und ein größerer Bekanntheitsgrad der Regelung erzielt wird. Die Angaben werden durch einen neutralen Dritten garantiert, als objektiver und kontrollierter Beweis dafür, dass das Produkt auf umweltgerechte Weise erzeugt wurde und auch im gesamten Lebenszyklus umweltfreundlich verwendet wird.

6.3

Bei tierischen Erzeugnissen muss die individuelle Festlegung der Kriterien, etwa der Kriterien für die Aufzucht der Tierarten und die jeweiligen Produktionsverhältnisse, durch Sachverständige auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und einer eingehenden Bewertung der Produktionssysteme erfolgen. Somit bedarf es eingehender und spezifischer fachlicher Bewertungen. Aber die durch das „Umweltmodell“ gewährleisteten klaren und glaubwürdigen Angaben gegenüber den Verbrauchern in Form einer freiwilligen Anwendung und einer marktbasierten gemeinsamen Etikettierung, die die Erfüllung bestimmter, über die gesetzlichen Auflagen hinausgehender ethischer Kriterien anzeigt, sollten auch Anwendung finden, um die Entwicklung von Produktions- und Zuchtmethoden zu fördern, die dem Wohl der Tiere besser Rechnung tragen.

7.   Private Gütesiegel

7.1

Private Gütesiegel funktionieren nach den Gesetzen des Marktes und unter Wahrung des gesetzlichen Verbots der unlauteren Werbung, ohne besondere behördliche Eingriffe. Diese Systeme sind flexibel und im Stande, sich laufend an die Entwicklung anzupassen. Und doch ist die Kennzeichnung aus der Perspektive des Tierschutzes nicht optimal. Das immer größere Warenangebot erschwert es den Verbrauchern, den Überblick zu wahren und Vergleiche zwischen den verschiedenen Kennzeichnungen anzustellen. Die Vermarktung spiegelt zuweilen ein falsches Bild der Produktionsverhältnisse vor: die dem Erzeugnis zugeschriebenen Eigenschaften beruhen nicht unbedingt auf sachlichen Kriterien, was unter anderem der fehlenden, ausreichend objektiven Erkenntnisgrundlage geschuldet ist. Dies führt zu einem Glaubwürdigkeitsdefizit und zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber seriöseren Produkten und besseren Produktionsverhältnissen. Obendrein können sich Industrie und Handel veranlasst sehen, die Kriterien wettbewerbsbedingt auf nicht immer plausible Art zu ändern, was die Nutztiererzeuger mit Problemen konfrontiert.

7.2

Aus diesen Gründen ist die Festlegung sachlicher Kriterien für die Produktion erforderlich. In dieser Hinsicht hat die Kommission die Einrichtung eines Zentrums oder Laboratoriums vorgeschlagen, das unter anderem die Aufgabe haben soll, objektive Tierschutzindikatoren zu entwickeln (11); zudem erwartet die Kommission, dass die weitere Anwendung messbarer Indikatoren in der einschlägigen Rechtsetzung der Gemeinschaft auf der Grundlage der Resultate des 2009 abzuschließenden Forschungsprojekts „Welfare Quality“ erfolgen kann. Zugleich ist es wichtig, sonstige Forschungen und Entwicklungen in den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.

7.3

Die Förderung bestimmter artgerechterer Produktions- und Zuchtmethoden aufgrund fundierter wissenschaftlicher Indikatoren muss deshalb — als die beste Lösung — unbedingt als Ergänzung privatwirtschaftlicher Gütesiegel angestrebt werden. Dadurch wäre es den Unternehmen möglich, eigene Kennzeichnungen beizubehalten und weiterzuentwickeln und sich so auch von den Konkurrenten auf realer und sachlicher Grundlage abzusetzen; ferner hätten die Verbraucher die Chance, ihre Kaufentscheidung auf wahrheitsgetreuer Grundlage gemäß den eigenen Überzeugungen und Präferenzen zu treffen. Das System kann somit im Einklang mit den Prämissen des Marktes und ohne überflüssigen Eingriff der Behörden funktionieren. Dabei kann angegeben werden, dass das Produkt dem EU-Standard, der durch unparteiische Kontrolle gesichert wird, entspricht.

8.   Vorschläge für eine Tierschutzkennzeichnung

8.1

Es ist wichtig, den Rahmen und die Grundsätze für die Ausgestaltung des gemeinsamen Kennzeichnungssystems festzulegen, damit die Arbeiten aufgenommen und standardisierte Tierschutzindikatoren — u.a. nach Vorliegen hinreichender Teilresultate aus dem Welfare Quality-Projekt — in das System einbezogen werden können. Sodann könnten Sachverständige und ggf. das vorgeschlagene Zentrum für Tierschutz die notwendigen objektiven Kriterien ausarbeiten. Hierbei muss eine Gewichtung verschiedener Indikatoren erfolgen, die den gesamten Lebenszyklus der Tiere umfassen; diese sind in praktische und realistische Produktionsverhältnisse umzusetzen, so dass sich das Zusammenspiel zwischen Forschung, Entwicklung und Anwendung neuer Technologien optimal gestaltet (12).

8.2

Dies kann in Standards für alle Nutztierarten und die grundlegendsten tierischen Erzeugnisse münden, indem dem erwähnten Zentrum bei der angeregten Kennzeichnungsregelung ein entsprechender Auftrag erteilt wird; hierbei muss die Messbarkeit und die Kontrollmöglichkeit der einzelnen Indikatoren gewährleistet sein. Der Tierschutzkennzeichnung sollen möglichst messbare und reproduzierbare Tierschutzindikatoren und nicht nur die angewandten Produktionssysteme zugrunde liegen.

8.3

Handel und Industrie könnten sodann auf freiwilliger Basis ein von der EU anerkanntes Siegel für tierische Erzeugnisse einführen, das die Erfüllung über den Mindestnormen der EU liegender Standards bescheinigt. Die höheren Standards müssen auf einem Rechtsakt fußen, es sei denn, es ist rechtlich möglich, unmittelbar auf die gemeinsamen Standards zu verweisen. Die Standards könnten zum Beispiel bei der Wahl dreier höherer Niveaus 20, 40 und 60 Prozent über den Mindestnormen liegen, soweit es für die jeweilige Tierart und das Erzeugnis als sachdienlich erachtet wird. Die Garantie für die Erfüllung der spezifischen Anforderungen und die Kontrolle der Anwendung der Kennzeichnung kann über die Selbstkontrolle der Unternehmen unter Mitwirkung eines unparteiischen Prüfers, eines Instituts oder einer Organisation bzw. eines spezialisierten Zertifizierungsgremiums erfolgen, die nach Maßgabe der einschlägigen europäischen und internationalen ISO-Normen EN ISO 17000 arbeiten oder nach EN ISO 45011 als Zertifizierungsstelle akkreditiert sind. Hingegen ist eine von Fall zu Fall zu treffende Entscheidung über die Zulassung eines Logos oder die Genehmigung der Verwendung eines Logos mit den dadurch ausgelösten öffentlichen Verwaltungs- und Kontrollmechanismen nicht vorgesehen.

8.4

Die Kennzeichnung könnte mit einem Farbsystem, Sternen oder einem Punktesystem kombiniert werden, die zu den bestehenden gewerblichen Kennzeichnungen hinzugefügt werden können, sofern dies keine Unstimmigkeiten mit der gemeinsamen Kennzeichnungsregelung und den bestehenden Warenmarken schafft. Das System könnte unter den gleichen Bedingungen auf Importerzeugnisse angewendet werden und würde somit keine Probleme in Bezug auf die WTO-Regeln hervorrufen.

9.   Ergänzende Maßnahmen

9.1

Es sollte erwogen werden, dass die für die jeweilige Kennzeichnung Verantwortlichen mit Unterstützung der EU eine Internetseite und eine Datenbank mit einer Beschreibung der vorgeschlagenen Kennzeichnungsregelung und diverser Tierschutzkennzeichnungen und -regelungen einrichten. Hier könnten die Unternehmen Informationen über ihre Produkte erteilen und auf diese Weise signalisieren, dass sie sich ethisch verantwortungsvoll verhalten. Dieselben Informationen könnten beispielsweise auch in den Einzelhandelsgeschäften zugänglich sein. Die Datenbank könnte auch eine Inspirationsquelle für die weitere Entwicklung in diesem Bereich sein. Sie würde die Transparenz fördern; das Risiko, in die Kritik zu geraten und bei Pfusch und Irreführung der Verbraucher ertappt zu werden, könnte zu einer gewissen Selbstdisziplin und internen Kontrolle beitragen.

9.2

Daneben könnten strengere Bestimmungen für unrichtige oder irreführende Werbebehauptungen erwogen werden, d.h. im Falle eines Missbrauchs sollten dabei strengere Sanktionen in Erwägung gezogen werden, handelt es sich doch nicht um ein Zulassungssystem in Verbindung mit einzelstaatlicher behördlicher Kontrolle. Selbstverständlich dürfen die Unternehmen ganz legal mit wahrheitsgemäßen Anpreisungen werben, die die Verbraucher nicht irreführen; zugleich liegt es aber auch in der alleinigen Verantwortung der Unternehmen, zu gewährleisten, dass die Behauptungen über die Produkte — seien sie nun durch eine unparteiische Seite verifiziert oder nicht — der Wahrheit entsprechen.

9.3

Eine weitere Alternative, die zugleich auch die einfachste wäre, bestünde darin, ausschließlich die Weiterentwicklung privater Kennzeichnungsregelungen zu fördern, und zwar mittels an die Verbraucher und den Einzelhandel gerichteter Informationskampagnen. Wie aus dem eingangs Ausgeführten hervorgeht, dürfte dies jedoch nicht ausreichen. Ungeachtet der Wahl der Kennzeichnungsregelungen oder anderer Maßnahmen sollten unter allen Umständen umfassende Informationskampagnen durchgeführt werden, sobald die Grundlage hierfür geschaffen ist. Dies kann durch Konferenzen für Meinungsbildner sowie über das Fernsehen oder Zeitungsartikel erfolgen, wobei die Kommission und die zuständigen einzelstaatlichen Behörden aber gemeinsam mit Bauern-, Verbraucher- und Tierschutzverbänden u.Ä. eine maßgebliche Rolle spielen sollten.

9.4

Mitunter wird auch der Ruf nach einer obligatorischen nationalen Ursprungskennzeichnung laut, da allgemein eine Bevorzugung heimischer Produkte zu beobachten ist. Trotz der Behauptung der Wirtschaft, dadurch werde die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung heraufbeschworen, war es bisher ein grundlegendes Prinzip, dass auf nationaler Ebene strengere Regeln für das Wohlbefinden der Tiere festgesetzt werden dürfen, als durch die Mindestnormen der EU vorgeschrieben werden. Sollten die einzelnen Mitgliedstaaten unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips nach Maßgabe der Produktionsbedingungen und der Verbraucherinteressen in Eigenregie Kennzeichnungssysteme entwickeln dürfen, könnte sich ein solcher Ansatz rasch in eine einseitige Begünstigung heimischer Produkte verkehren, wie ja jede Form verbindlicher nationaler Kennzeichnung vom Prinzip her mit dem Binnenmarkt und den Wettbewerbsregeln der EU unvereinbar ist. Mitgliedstaaten, die höhere verbindliche Mindestanforderungen für eine oder mehrere Branchen einführen, haben jedoch ggf. die Möglichkeit, diese in das vorgeschlagene Kennzeichnungssystem einfließen zu lassen.

Brüssel, den 15. März 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Wie aus der Eurobarometer-Sonderumfrage „Attitudes of consumers towards the welfare of farmed animals“ vom Juni 2005 hervorgeht, berücksichtigen 43 % der Verbraucher in der EU beim Fleischkauf Tierschutzaspekte. 74 % der Befragten geben an, mit ihrer Kaufentscheidung Einfluss auf das Wohlbefinden von Tieren ausüben zu wollen. Allerdings weisen einige wissenschaftliche Untersuchungen darauf hin, dass die psychologischen und emotionellen Faktoren, die an die ethischen und moralischen Werte der Verbraucher appellieren, sowie die Präsentation durch den Einzelhandel und die Kennzeichnung außerordentlich komplex sind. Haltungen und Handlungen können demnach durchaus voneinander abweichen: eine politisch korrekte Haltung gegenüber ethischer Kennzeichnung führt nicht unbedingt zum Kauf von Produkten, die unter Berücksichtigung besonderer ethischer Maßstäbe hergestellt wurden. Bestimmend sind vielmehr Preis, Zugänglichkeit, Gesundheit und Geschmack. Doch reagiert die Öffentlichkeit heftig, wenn Informationen über mangelhafte Bedingungen für Produktions- oder Versuchstiere über die Medien publik werden.

(2)  Verordnung Nr. 509/2006 des Rates vom 20.3.2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln sowie Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20.3.2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl. L 93 vom 31.3.2006.

(3)  Vgl. Mitteilung der Kommission über einen Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren 2006-2010, KOM(2006) 13 vom 23.1.2006), worin Initiativen auf WTO-Ebene angekündigt werden sowie ein Bericht über die verbindliche Etikettierung von Geflügelfleisch und Geflügelfleischerzeugnissen (2009), ein Bericht über die weitere Anwendung messbarer Indikatoren im gemeinschaftlichen Tierschutzrecht (2009) und die mögliche Schaffung einer europäischen Qualitätsnorm für Erzeugnisse aus tierschutzgerechten Produktionssystemen sowie die Schaffung einer spezifischen technischen und finanziellen Regelung zur Förderung der Anwendung höherer Tierschutzmaßstäbe innerhalb und außerhalb der EU.

(4)  Vgl. Stellungnahme CESE 1356/2006 vom 26.10.2007 zu der Mitteilung der Kommission über einen Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren 2006-2010 sowie CESE 1246/2005 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Mindestvorschriften zum Schutz von Masthühnern, KOM(2005) 221 endg., ABl. C 28 vom 3.2.2006.

(5)  Bei Welfare Quality® handelt es sich um ein von der EU finanziertes Forschungsprojekt, an dem 39 Institute und Universitäten teilnehmen, die über besonderen Sachverstand im Tierschutz verfügen. Mit dem Projekt sollen auf wissenschaftlicher Grundlage Tierschutznormen und praktische Strategien erarbeitet werden, um den Tierschutzaspekt in die Kette Landwirtschaft-Verarbeitung-Handel-Vermarktung zu integrieren und den Verbrauchern die entsprechenden Informationen bereitzustellen.

(6)  Dazu gehören auch Norwegen, Island und Liechtenstein, die ebenfalls dem Binnenmarkt der EU (Europäischer Wirtschaftsraum) angehören.

(7)  „Creating Business Opportunity through Improved Animal Welfare“ — Internationale Finanzkorporation (IFC) der Weltbank, April 2006. Der IFC gehören 178 Mitgliedstaaten an; die Aufforderung bezieht sich insbesondere auf Investitionen in den Entwicklungsländern mit Blick auf den Export in die entwickelten Länder. Bezüglich des Wohlbefindens von Tieren gelten in einigen Ländern außerdem traditionell Verhaltenskodizes, während gesetzliche Regelungen im eigentlichen Sinne fehlen. Dies gilt zum Beispiel für die Schweiz, Australien, Neuseeland, Argentinien und Brasilien.

(8)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über einen Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren 2006-2010, KOM(2006) 13.

(9)  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Mindestvorschriften zum Schutz von Masthühnern, KOM(2005) 221 vom 30.5.2005.

(10)  Verordnung (EG) Nr. 1980/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.7.2000 zur Revision des gemeinschaftlichen Systems zur Vergabe eines Umweltzeichens, ABl. L 237 vom 21.9.2000, S. 1-12.

(11)  Wie der EWSA hat in seiner Stellungnahme zum Aktionsplan angeregt hat, sollte das Laboratorium oder Zentrum global ausgerichtet und gemeinsam mit den wichtigsten Handelspartnern der EU eingerichtet werden, damit die dort entwickelten Methoden internationale Anerkennung finden.

(12)  Bei den betreffenden Indikatoren wird vorausgesetzt, dass sie alle wesentlichen Gegebenheiten der betreffenden Tierart in Form von Zuchtmerkmalen, räumlichen und Einstallungsverhältnissen, der täglichen Kontrolle, von Krankheits- und Gesundheitsaspekten, der Absetzung von der Mutter, von chirurgischen Eingriffen einschließlich des Transports zum Schlachthof, der Betäubung und Schlachtung umfassen.


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